Craig: Du bist mein Star
Kapitel 1
Niemand hatte ihm je gesagt, dass das mit dem Altern so früh losgehen würde. Craig Baron trank von seinem kühlen Wasser. Die Reparatur des stiersicheren Zauns zwischen den Ranches der Barons und der Golds erwies sich als etwas schwieriger, als die Brüder gedacht hatten.
„Du bist auch nicht mehr das, was du einmal warst«, stichelte Chase grinsend seinen jüngeren Bruder. „Älter werden ist nichts für Weicheier.“
„Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“ Craig stützte sich auf den Stiel seiner Schaufel und straffte die Schultern. „Und fürs Protokoll: Ich bin weder alt noch ein Weichei.“
„Sprich für dich selbst.“ Der Älteste der heutigen Arbeiter, sein Bruder Mitch, zog ein kariertes Halstuch aus seiner Gesäßtasche und wischte sich damit die Stirn ab. „Ich gebe zu, dass das vor zehn Jahren viel einfacher war.“
„Ich auch.“ Kyle, der Bruder, der in der besten körperlichen Verfassung war, trank eine Plastikflasche Wasser auf einmal aus, drückte sie zusammen und warf sie in den nächsten Mülleimer. „Ich glaube, Zäune errichten ist etwas für die nächste Generation.“
„Und Autorennen?“ Jared Gold, der dank Craigs Schwester Eve bald ein offizielles Mitglied des Baron-Clans sein würde, hob eine Augenbraue hoch.
Kyle seufzte müde. „Es ist noch nicht offiziell, aber“, er schaute zu einem Punkt in der Ferne, „ich glaube, es ist Zeit, meinen Helm an den Nagel zu hängen.“
Während er noch mehr Wasser trank, hätte Craig es bei diesen Worten beinahe wieder ausgespuckt. Jedes einzelne Mitglied der Baron-Familie war absolut wettbewerbsorientiert. Jeder strebte danach, an der Spitze zu stehen, egal, was man dafür tun musste. Der Gedanke, dass Kyle den Rennsport an den Nagel hing, war so absurd wie der Gedanke, dass Craig einen preisgekrönten Film aufgab. Das würde einfach nicht passieren. „Machst du Witze?“
„Nö.“ Kyle nahm seinen Hut ab und schlug sich damit den Staub vom Oberschenkel, bevor er ihn wieder aufsetzte. „Ich finde einfach, es ist an der Zeit.“
„Wow!“ Mitch schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass du es angedeutet hast, aber ich hätte nicht erwartet, dass du es tatsächlich wahr machst. Zumindest noch nicht.“
„Wie ich schon sagte“, Kyle schnappte sich den Bohrer, »es ist noch nichts offiziell. Vielleicht müssen wir Gibs noch ein Jahr Zeit geben.“
„Es sei denn, jemand übernimmt“, erwiderte Craig. „Ich habe Gerüchte gehört, dass Bergeron mit seinem Team unzufrieden sei. Er ist noch nicht so gut wie du, wird es aber vielleicht bald sein.“
„Hmm“, machte Kyle.
Nach diesem Gespräch vermutete Craig, dass sein Bruder zwar bereit sein mochte, seinen Rennanzug an den Nagel zu hängen, aber nicht, ersetzt zu werden. Craig und Kyle lagen altersmäßig nicht weit auseinander, und doch begann Craig gerade erst, die Früchte seiner harten Arbeit zu ernten. Der Weg an die Spitze der Filmindustrie war nicht einfacher als der Aufstieg an die Spitze der Rennsportwelt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Kyle aufgeben würde, genauso wenig wie er nicht mit aller Kraft für den nächsten großen Film kämpfen würde, der Baron Productions zum heiligen Gral der Branche machen würde. Die Firma, um die sich die großen Stars reißen würden, damit ihre Filme von ihr produziert werden würden, und nicht umgekehrt. Er biss sich auf die Zunge und schüttelte den Kopf. Kyle durfte auf keinen Fall aufgeben.
Jared begutachtete ihre heutige Arbeit und blickte dann zum Himmel. „Die Hitze wird langsam zu drückend.“
„Wir sind in Texas“, erwiderte Kyle sarkastisch. „Die Hitze ist fast immer drückend.“
Jared lachte. „Stimmt, aber in diesem Fall haben wir gute Fortschritte gemacht. Wir könnten jetzt Feierabend machen und morgen weiterarbeiten.“
Craigs Rücken schmerzte allein bei der bloßen Erwähnung, dies morgen fortzusetzen. Sein Schreibtischjob hatte ihn wirklich weich werden lassen. „Ich gebe zu, dass sich Hazels französischer Streuselkuchen und ein kühles Glas Blaubeerlimonade im Moment himmlisch anhören.“
Mitch starrte in die Ferne und drehte dann den Kopf zu ihnen. „Hazel hat ihren französischen Sahne-Streuselkuchen gemacht?“
Der Typ war einmalig. Gerade dann, wenn Craig dachte, dass sein älterer Bruder völlig in seiner eigenen kleinen Welt versunken war, wurde er munter und ließ jeden wissen, dass er mit der Konversation Schritt gehalten hatte, auch wenn er kein Wort gesagt hatte. Er hatte auch viel mehr Zeit auf der Ranch verbracht als sonst. Mitch flog nach Washington, um seine Aufgaben im Senat zu erledigen, und eilte dann wieder nach Hause, so oft er konnte. Jedes Familienmitglied betrachtete die Ranch als sein Zuhause, und an vielen Wochenenden kam mindestens die Hälfte hierher und richtete sich in ihren alten Zimmern ein, als wäre kein Tag vergangen, seit sie als Kinder die Sommer und Wochenenden mit den Großeltern verbracht hatten. Dennoch war sich Craig nicht sicher, wann Mitch das letzte Mal auch nur einen kurzen Zwischenstopp in seinem Haus in der Innenstadt eingelegt hatte. Fast jedes Wochenende, manchmal auch wochentags, war er in den Scheunen zu finden.
Trotz ihrer Bemühungen, auf subtile Weise herauszufinden, was Mitch bedrückte, war keiner der Brüder in der Lage gewesen auszumachen, warum er in den vergangenen Monaten mehr Zeit als gewöhnlich auf der Ranch verbrachte. Der Schmerz in Craigs unterem Rücken erinnerte ihn daran, dass jetzt eine heiße Dusche angebracht wäre. Die Gedanken um seinen großen Bruder konnte er an einem anderen Tag fortführen.
„Der Letzte, der bei der Ranch ankommt, ist ein Weichei!“ Natürlich musste Kyle alle zu einem Rennen anspornen. Er mochte denken, dass er bereit war, sich aus dem Adrenalinrausch der Rennwelt zurückzuziehen, aber Craig war noch nicht überzeugt davon.
In Rekordzeit schafften es die Brüder zurück zur Ranch, wo jeder eine lange heiße Dusche nahm, sich saubere Kleidung anzog und eine kurze Pause vor dem Abendessen mit dem Gouverneur und Grandma einlegte. Sogar Jared und Eve gesellten sich zum Familienessen.
„Gibt es schon ein Datum?“, fragte die Großmutter ihre Enkelin beiläufig und streichelte den Welpen an ihrer Seite. Seit Jared vor der ganzen Familie auf die Knie gegangen war und Eve einen Heiratsantrag gemacht hatte, stellte Lila Baron die gleiche Frage.
„Ich möchte mir noch ein paar Locations ansehen, bevor wir die Zahl der Gäste eingrenzen“, antwortete Eve so beiläufig wie immer.
Tatsache war, dass er wusste, dass seine Schwester immer noch darauf wartete, dass ihre Mutter Eve einen Zeitpunkt nannte, an dem sie ihr Versteck in Europa verlassen würde, um sich auf eine weitere Familienhochzeit zu wagen. Da die Spannungen zwischen den Barons und ihrer Mutter – der ersten Ex-Mrs. Bradley Baron – immer noch groß waren, nahm seine süße kleine Schwester die Strapazen gerne auf sich.
„Ich habe gehört, dass Paige mit ihren Plänen, das Weingut als Veranstaltungsort für Hochzeiten zu nutzen, gut vorankommt. Vielleicht wäre das eine gute Lösung?“ Die Grübchen seiner Großmutter vertieften sich, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem neckischen Grinsen. „Ich könnte ein paar Fäden ziehen, wenn du willst.“
Eves Lächeln wurde noch strahlender und passte zu dem ihrer Großmutter. „Ich habe vielleicht selbst ein paar Fäden, die ich ziehen könnte.“
„Welche Fäden werden gezogen?“ Paige, die bereits erwähnte Schwester – die Tochter der zweiten Ex-Mrs. Bradley Baron – stürmte ins Zimmer und drückte ihrer Großmutter sofort einen Kuss auf die Wange.
Lila Baron lächelte ihre Enkelin an und winkte Eve zu sich. „Die für eine Hochzeit auf dem Weingut.“
Paiges Blick wanderte zu Eve. „Würdest du das gern tun?“
Eve presste die Lippen fest aufeinander und zog die Mundwinkel nach oben, während sie langsam nickte. „Vielleicht.“
Paige klatschte begeistert in die Hände, setzte sich auf ihren Platz und sagte zu ihrer älteren Schwester: „Nach dem Essen reden wir darüber.“
Die beiden Schwestern grinsten einander an wie die kleinen Mädchen, an die er sich noch von früher erinnerte. Obwohl er wusste, dass es viele Diskussionen über Paiges Ambitionen für das Familienweingut gegeben hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass sie genug Fortschritte gemacht hatte, um eine Baron-Familienhochzeit auszurichten.
„Wo drehst du diese Woche?“ Der Gouverneur schnitt sein Rinderfilet in Scheiben, stach hinein und ließ es auf der Gabel in der Luft baumeln, um auf Craigs Antwort zu warten.
„Vancouver.“
„Langer Flug.“
Craig nickte. Das wusste er sehr wohl. Als Executive Producer musste er zwar nicht jede Minute am Set sein, aber sein Großvater hatte ihm vor langer Zeit beigebracht, dass man nur dann einen Vorsprung hat, wenn man doppelt so hart arbeitet wie andere. Außerdem hatte der Gouverneur ihnen allen beigebracht, dass der beste Weg, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, darin bestand, immer mindestens ein Auge auf ein Projekt zu werfen. Ob geschäftlich oder privat, Craig hatte genau das getan, und mehr als einmal hatte es ihm den Hintern gerettet.
„Hattest du Glück mit der Option, von der du uns erzählt hast?“
Craig musste überlegen, von welcher Option sein Großvater da redete.
„Du weißt doch“, fuhr dieser fort, als hätte er Craigs Gedanken gelesen, „diese Schauspielerin, die in der Nähe von Austin wohnt und von der du so begeistert warst.“
Ach ja, die schwierige Diva, die vor über einem Jahrzehnt nach Hill Country gezogen war, nachdem sie einen ihrer vielen Blockbuster-Filme fertiggestellt hatte. Die Frau spielte nicht mehr in Filmen mit, die außerhalb ihres Bundesstaates gedreht wurden, und besaß zufällig die Rechte an dem heißesten Material, das momentan auf dem Markt existierte. Ein Volltreffer für eine Oscar-Nominierung, wenn man es richtig anpackte, was seine Produktionsfirma tun würde. Dieser Film würde ihn endgültig an die Spitze bringen. „Die Verhandlungen sind noch im Gange.“
„Ist das Texas-Studio immer noch der springende Punkt?“ Der Gouverneur hob sein Wasserglas an die Lippen, um zu zeigen, dass er zwanglos plaudern konnte, obwohl die Frage, ähnlich wie die seiner Großmutter bezüglich Eves Hochzeit, überhaupt nichts Zwangloses an sich hatte.
Craig nickte. Einer von vielen, wenn es um diese Diva ging.
„Ein Studio näher an deinem Wohnort wäre nicht schlecht. Hast du dir das schon mal überlegt?“
„Immer mal wieder.“ Das war wahrscheinlich nicht die Antwort, die sein Großvater hören wollte, aber es war die Wahrheit. Oder zumindest ein Teil der Wahrheit. Angesichts der Tatsache, dass die Produktionen oft gleichzeitig im ganzen Land liefen und er immer wieder Nachtflüge nahm, um mitzuhalten, hatte er mehr als nur darüber nachgedacht. Einschließlich der Kosten und der Kopfschmerzen, die ein solches Projekt mit sich bringen würde, vor allem, wenn man bedachte, dass er einen Standort in oder in der Nähe von Houston und der Ranch bevorzugte – in einem Teil des Landes, der praktisch eine Produktionswüste war. Austin lag zwar näher an seiner Wohnung, aber da er mehr Zeit auf der Ranch als in seiner eigenen Wohnung verbrachte und die Kosten und die Verfügbarkeit von Grundstücken selbst für einen Baron mehr als unerschwinglich waren, kam diese Option nicht infrage. So blieb die Möglichkeit, sich stattdessen auf Dallas zu konzentrieren, eine Stadt, die ihn näher an seinen Bruder Chase heranbringen würde und in der es bereits einen ansehnlichen Pool an Fachleuten aus der Filmindustrie gab. Trotz des Vorteils, den der Standort in Nordtexas bot, konnte er sich nicht dazu durchringen, vier Stunden fahren zu müssen, um seine Familie und die Ranch zu besuchen, genauso wenig wie dazu, die gleiche Zeit in einem Flugzeug zu verbringen. Stattdessen hatte er sein Bestes getan, um die Diva aus Texas zu locken – bisher ohne Erfolg.
„Du weißt, dass der Gesetzgeber gerade neue Steueranreize für genau diese Art von Projekten genehmigt hat?“
Er hob den Kopf und starrte seinen Großvater an. Ehrlich gesagt hatte er nicht darauf geachtet, ob der Staat Texas für derartige Projekte Vergünstigungen anbot. „Ich werde es mir ansehen.“
Der Gouverneur nickte kurz. „In meinem Büro liegt ein Ordner mit den Highlights. Wenn du daran interessiert bist, kannst du nach dem Essen einen Blick darauf werfen. In der gleichen Mappe sind auch ein paar Immobilienvorschläge, die dein Cousin Devlin vorgelegt hat.“
Wieder nickte Craig. Es war eigentlich egal, ob er interessiert war oder nicht – zumindest war er definitiv neugierig –, denn ein Vorschlag des Gouverneurs war im Prinzip ein militärischer Befehl, auch wenn seine Enkel keine Soldaten waren. In jedem Fall musste er befolgt werden. Natürlich war die Frage, die ihm durch den Kopf ging, ob dieser Vorschlag seine strapaziösen Dienstreisen und Verhandlungsmarathons beenden oder ein Schuss ins eigene Knie sein würde.
* * *
„Das nächste Mal, wenn jemand nach viel zu vielen Schokoladen-Martinis Roadtrip schreit, erinnere mich daran, dass ich darauf bestehe, dass wir wenigstens in Texas bleiben.“ Kathleen Elizabeth Donovan, besser bekannt als Kate, war durch und durch extrovertiert, mit einem Hauch von Diva. Außerdem war sie zu alt, um den ganzen Tag im Auto zu sitzen. Aber sie hatte zugestimmt, mit ihren Freunden eine spontane Reise durch zwei Bundesstaaten zu unternehmen.
„Willst du damit sagen, dass dir die heißen Quellen nicht gefallen haben?“ Joan, ihre beste Freundin seit dem Kindergarten, machte sich nicht die Mühe, von der Straße zu Kate zu blicken. Wahrscheinlich, weil Joan die Antwort bereits kannte.
„Es war wirklich durch und durch entspannend.“ Das war es wirklich gewesen. Angefangen mit dem Kühlschrank, der die Milch nicht nur gekühlt, sondern gefroren hatte. Dann war da der Teenager gewesen, dessen Highschool-Band mitten im Online-Meeting Metallica-Songs geübt hatte. Schließlich irgendein Idiot, der nicht verstanden hatte, dass man nicht einfach mit nistenden Meeresschildkröten spielen darf. An manchen Tagen kam das Leben einfach aus allen Richtungen auf einen zu. Nach drei Tagen der Ruhe und Stille in der Natur und all den kleinen Krabbeltierchen, die damit einhergingen, war Kate klar geworden, wie anstrengend die reale Welt geworden war. „Wir müssen wirklich öfter mal ausbrechen.“
„Amen. Es würde allerdings helfen, wenn du wenigstens einen Bruchteil der Zeit, die du mit der Rettung der Welt verbringst, darauf verwenden würdest, dich selbst zu verwöhnen.“
„Mag sein.“ Viel mehr konnte sie nicht sagen, schließlich hatte Joan ein gutes Argument. Solange Kate denken konnte, machte sie sich mehr Sorgen um hilflose und verlassene Tiere als um Menschen. Nicht jeder hatte das Privileg, erwachsen zu werden und seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Sie wünschte sich nur, eine erfolgreiche Umweltschützerin zu sein, würde nicht bedeuten, sich mit der geldgierigen, vor allem auf Profit ausgerichteten Seite der Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen. Die Erhaltung gefährdeter Arten und ihres natürlichen Lebensraums hatte sich als viel anspruchsvoller erwiesen als die Pflege einiger ausgesetzter Kätzchen, als sie neun Jahre alt gewesen war. Trotzdem würde sie nichts daran ändern – außer vielleicht, dass sie von nun an ein paar mehr Wochenenden mit den Mädels verbringen würde.
Weniger als eine Stunde von zu Hause entfernt, wies die Computerstimme des Navis sie ohne einen Hauch von Zweifel an, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Ein kurzer Blick auf die Karte und die lange orangefarbene und dann rote Linie entlang des Highways erklärte, warum. Nur wenige Augenblicke nach der Umleitung begann der Verkehr zu stocken, als sie sich der vorgeschlagenen Ausfahrt näherten.
Joan schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich nehme an, die zwanzig Minuten, die uns dieser kleine Umweg zusätzlich kostet, sind weniger als die Zeit, die wir verlieren würden, wenn wir auf dem Highway blieben.“
„Keine Frage.“ In den folgenden Minuten folgten sie der Landstraße und konnten den Parkplatz sehen, zu dem der Highway geworden war. „Die Leute da tun mir leid. So wie es aussieht, werden sie noch eine ganze Weile dort festsitzen.“
„Dem Himmel sei Dank, wer auch immer Navis erfunden hat! Ich glaube, ich werde ein Glas Wein trinken, wenn wir nach Hause kommen, um ihn oder sie zu ehren.“
„Ich auch.“ Kate lachte. Sie lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und betrachtete die rosa, roten und orangefarbenen Farbtupfer am Himmel, während die Sonne hinter den Baumkronen vor ihnen unterging. Der kleine Umweg hatte sie weit vom Highway weg und tief in die Landschaft geführt. Es war lange her, dass sie so viele Sterne am Abendhimmel gesehen hatte. Die Lichtverschmutzung in Houston machte sie schon seit Jahrzehnten beinahe unsichtbar.
Als sie den Blick über die Baumkronen im Mondlicht schweifen ließ, fiel ihr ein Vogel im Flug auf. Die Spannweite der Flügel war beeindruckend, und deren anmutige Bewegungen zauberten ein Lächeln auf ihr Gesicht. Für Kate war es ebenso entspannend, freilebende Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum umherstreifen – oder in diesem Fall fliegen – zu sehen, wie Zeit in den heißen Quellen zu verbringen. Ihr Herz klopfte aufgeregt, als das, was sie jetzt als Eule erkannte, auf einem tief hängenden Ast am Straßenrand landete.
„Hast du das gesehen?“ Joan deutete mit einem Arm in Richtung der Eule.
„Ja, habe ich. Großartig.“
Als sie näher kamen und Joans Auto fast unter dem Tier war, erkannte Kate, welche Eulenart ihnen eine Show geboten hatte. Wenn sie sich nicht irrte, gehörte diese spezielle Eule zu den gefährdeten Rassen, die in Texas auf einer Liste standen. Das lag vor allem daran, dass sich diese Tiere ihres Wissens nur selten westlich von Louisiana aufhielten. Als ob die Vögel eine innere Landkarte hätten, machten sie fast immer an der Staatsgrenze Halt.
„Oh, da fliegt er!“ Mit ausgestrecktem Arm zeigte Joan in die Richtung, in die der Vogel geflogen war.
Kate seufzte tief, denn ihr war klar geworden, dass sie der Eule folgen wollte. Wenn es um Wildtiere ging, musste sie herausfinden, wo diese zu Hause waren, so auch bei diesem Vogel. Sie zeigte auf einen Feldweg gleich hinter dem Baum. „Folge diesem Vogel!“
Joan wurde langsamer und wandte sich zum ersten Mal, seit sie vom Highway auf die einsame, dunkle, unbeleuchtete Landstraße abgebogen war, an Kate: „Das soll wohl ein Scherz sein?“
Kate schüttelte vehement den Kopf und deutete weiterhin nach vorn. »Ich muss herausfinden, ob er markiert und geschützt ist.«
Joan seufzte schwer. „Ich schätze, ich sollte dankbar sein, dass du keine gefährdeten Tiere entdeckt hast, bevor wir die Staatsgrenze überquert haben. Ich nehme an, der Grund, warum wir diesen armen Vogel verfolgen, ist, dass er vom Aussterben bedroht ist?“
„Kann sein.“
Diesmal runzelte Joan die Stirn, als sie von der zweispurigen Straße abbog. „Bitte sag mir nicht, dass du nur zum Spaß Vögel beobachten willst.“
„Natürlich nicht.“
„Du weißt doch, dass du nicht im Dienst bist, oder?“
„So etwas gibt es nicht.“ Die Rettung des Planeten war kein klassischer Job wie der einer Empfangsdame in einer Anwaltskanzlei. Sie sorgte sich immer um Tiere, auch wenn sie nicht allen helfen konnte.
„Aha.“ Joan zuckte zusammen, als ihr teures Auto über den unebenen Weg holperte. „Oh, ich hoffe doch sehr, wir bekommen keinen Platten. Hier draußen wird man uns nie finden.“
Einen Moment lang verlor Kate die Eule aus den Augen, und dann, als wüsste das Tier, dass sie es suchte, machte es einen Beinahe-Sturzflug und flog über die Vorderseite des Autos.
„Ich glaube, das ist ein Privatgrundstück.“ Joan umklammerte verzweifelt das Lenkrad, während sie die Umgebung absuchte und bei jedem Schlagloch, über das sie fuhren, heftiger zusammenzuckte. „Wenn irgendein alter Knacker aus seinem Farmhaus rennt und mich erschießt, kannst du meinen Eltern erklären, warum dieser Vogel so wichtig war.“
Für einen kurzen Moment hätte die Vorstellung eines alternden Ranchers mit einer Pfeife, einem Overall und einer Schrotflinte in der Größe von Texas Kate ihre absurde Verfolgungsjagd beinahe überdenken lassen. Beinahe. „Ich bin sicher, wir schaffen das schon. Jeder Rancher oder Farmer, der etwas auf sich hält, ist bei Sonnenuntergang ins Bett gegangen.“
„Das hoffe ich sehr.“
„Da!“ Kate deutete auf mehrere Gebäude auf einem überwucherten Feld, in denen die Eule verschwunden war. „Dort muss sie nisten.“
„Ich dachte, es wäre ein Er?“ Joans Stimme war eine Oktave höher, als ihr Auto erneut über ein Schlagloch fuhr.
„Er, sie, ist das wichtig?“
„Für seinen oder ihren Partner schon.“ Der Humor ihrer Freundin war zurück.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie sie das Feld überqueren und sein oder ihr Nest in der Dunkelheit finden konnten. Und was noch wichtiger war – ohne dass Joan sie umbrachte!
Niemand hatte ihm je gesagt, dass das mit dem Altern so früh losgehen würde. Craig Baron trank von seinem kühlen Wasser. Die Reparatur des stiersicheren Zauns zwischen den Ranches der Barons und der Golds erwies sich als etwas schwieriger, als die Brüder gedacht hatten.
„Du bist auch nicht mehr das, was du einmal warst«, stichelte Chase grinsend seinen jüngeren Bruder. „Älter werden ist nichts für Weicheier.“
„Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“ Craig stützte sich auf den Stiel seiner Schaufel und straffte die Schultern. „Und fürs Protokoll: Ich bin weder alt noch ein Weichei.“
„Sprich für dich selbst.“ Der Älteste der heutigen Arbeiter, sein Bruder Mitch, zog ein kariertes Halstuch aus seiner Gesäßtasche und wischte sich damit die Stirn ab. „Ich gebe zu, dass das vor zehn Jahren viel einfacher war.“
„Ich auch.“ Kyle, der Bruder, der in der besten körperlichen Verfassung war, trank eine Plastikflasche Wasser auf einmal aus, drückte sie zusammen und warf sie in den nächsten Mülleimer. „Ich glaube, Zäune errichten ist etwas für die nächste Generation.“
„Und Autorennen?“ Jared Gold, der dank Craigs Schwester Eve bald ein offizielles Mitglied des Baron-Clans sein würde, hob eine Augenbraue hoch.
Kyle seufzte müde. „Es ist noch nicht offiziell, aber“, er schaute zu einem Punkt in der Ferne, „ich glaube, es ist Zeit, meinen Helm an den Nagel zu hängen.“
Während er noch mehr Wasser trank, hätte Craig es bei diesen Worten beinahe wieder ausgespuckt. Jedes einzelne Mitglied der Baron-Familie war absolut wettbewerbsorientiert. Jeder strebte danach, an der Spitze zu stehen, egal, was man dafür tun musste. Der Gedanke, dass Kyle den Rennsport an den Nagel hing, war so absurd wie der Gedanke, dass Craig einen preisgekrönten Film aufgab. Das würde einfach nicht passieren. „Machst du Witze?“
„Nö.“ Kyle nahm seinen Hut ab und schlug sich damit den Staub vom Oberschenkel, bevor er ihn wieder aufsetzte. „Ich finde einfach, es ist an der Zeit.“
„Wow!“ Mitch schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass du es angedeutet hast, aber ich hätte nicht erwartet, dass du es tatsächlich wahr machst. Zumindest noch nicht.“
„Wie ich schon sagte“, Kyle schnappte sich den Bohrer, »es ist noch nichts offiziell. Vielleicht müssen wir Gibs noch ein Jahr Zeit geben.“
„Es sei denn, jemand übernimmt“, erwiderte Craig. „Ich habe Gerüchte gehört, dass Bergeron mit seinem Team unzufrieden sei. Er ist noch nicht so gut wie du, wird es aber vielleicht bald sein.“
„Hmm“, machte Kyle.
Nach diesem Gespräch vermutete Craig, dass sein Bruder zwar bereit sein mochte, seinen Rennanzug an den Nagel zu hängen, aber nicht, ersetzt zu werden. Craig und Kyle lagen altersmäßig nicht weit auseinander, und doch begann Craig gerade erst, die Früchte seiner harten Arbeit zu ernten. Der Weg an die Spitze der Filmindustrie war nicht einfacher als der Aufstieg an die Spitze der Rennsportwelt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Kyle aufgeben würde, genauso wenig wie er nicht mit aller Kraft für den nächsten großen Film kämpfen würde, der Baron Productions zum heiligen Gral der Branche machen würde. Die Firma, um die sich die großen Stars reißen würden, damit ihre Filme von ihr produziert werden würden, und nicht umgekehrt. Er biss sich auf die Zunge und schüttelte den Kopf. Kyle durfte auf keinen Fall aufgeben.
Jared begutachtete ihre heutige Arbeit und blickte dann zum Himmel. „Die Hitze wird langsam zu drückend.“
„Wir sind in Texas“, erwiderte Kyle sarkastisch. „Die Hitze ist fast immer drückend.“
Jared lachte. „Stimmt, aber in diesem Fall haben wir gute Fortschritte gemacht. Wir könnten jetzt Feierabend machen und morgen weiterarbeiten.“
Craigs Rücken schmerzte allein bei der bloßen Erwähnung, dies morgen fortzusetzen. Sein Schreibtischjob hatte ihn wirklich weich werden lassen. „Ich gebe zu, dass sich Hazels französischer Streuselkuchen und ein kühles Glas Blaubeerlimonade im Moment himmlisch anhören.“
Mitch starrte in die Ferne und drehte dann den Kopf zu ihnen. „Hazel hat ihren französischen Sahne-Streuselkuchen gemacht?“
Der Typ war einmalig. Gerade dann, wenn Craig dachte, dass sein älterer Bruder völlig in seiner eigenen kleinen Welt versunken war, wurde er munter und ließ jeden wissen, dass er mit der Konversation Schritt gehalten hatte, auch wenn er kein Wort gesagt hatte. Er hatte auch viel mehr Zeit auf der Ranch verbracht als sonst. Mitch flog nach Washington, um seine Aufgaben im Senat zu erledigen, und eilte dann wieder nach Hause, so oft er konnte. Jedes Familienmitglied betrachtete die Ranch als sein Zuhause, und an vielen Wochenenden kam mindestens die Hälfte hierher und richtete sich in ihren alten Zimmern ein, als wäre kein Tag vergangen, seit sie als Kinder die Sommer und Wochenenden mit den Großeltern verbracht hatten. Dennoch war sich Craig nicht sicher, wann Mitch das letzte Mal auch nur einen kurzen Zwischenstopp in seinem Haus in der Innenstadt eingelegt hatte. Fast jedes Wochenende, manchmal auch wochentags, war er in den Scheunen zu finden.
Trotz ihrer Bemühungen, auf subtile Weise herauszufinden, was Mitch bedrückte, war keiner der Brüder in der Lage gewesen auszumachen, warum er in den vergangenen Monaten mehr Zeit als gewöhnlich auf der Ranch verbrachte. Der Schmerz in Craigs unterem Rücken erinnerte ihn daran, dass jetzt eine heiße Dusche angebracht wäre. Die Gedanken um seinen großen Bruder konnte er an einem anderen Tag fortführen.
„Der Letzte, der bei der Ranch ankommt, ist ein Weichei!“ Natürlich musste Kyle alle zu einem Rennen anspornen. Er mochte denken, dass er bereit war, sich aus dem Adrenalinrausch der Rennwelt zurückzuziehen, aber Craig war noch nicht überzeugt davon.
In Rekordzeit schafften es die Brüder zurück zur Ranch, wo jeder eine lange heiße Dusche nahm, sich saubere Kleidung anzog und eine kurze Pause vor dem Abendessen mit dem Gouverneur und Grandma einlegte. Sogar Jared und Eve gesellten sich zum Familienessen.
„Gibt es schon ein Datum?“, fragte die Großmutter ihre Enkelin beiläufig und streichelte den Welpen an ihrer Seite. Seit Jared vor der ganzen Familie auf die Knie gegangen war und Eve einen Heiratsantrag gemacht hatte, stellte Lila Baron die gleiche Frage.
„Ich möchte mir noch ein paar Locations ansehen, bevor wir die Zahl der Gäste eingrenzen“, antwortete Eve so beiläufig wie immer.
Tatsache war, dass er wusste, dass seine Schwester immer noch darauf wartete, dass ihre Mutter Eve einen Zeitpunkt nannte, an dem sie ihr Versteck in Europa verlassen würde, um sich auf eine weitere Familienhochzeit zu wagen. Da die Spannungen zwischen den Barons und ihrer Mutter – der ersten Ex-Mrs. Bradley Baron – immer noch groß waren, nahm seine süße kleine Schwester die Strapazen gerne auf sich.
„Ich habe gehört, dass Paige mit ihren Plänen, das Weingut als Veranstaltungsort für Hochzeiten zu nutzen, gut vorankommt. Vielleicht wäre das eine gute Lösung?“ Die Grübchen seiner Großmutter vertieften sich, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem neckischen Grinsen. „Ich könnte ein paar Fäden ziehen, wenn du willst.“
Eves Lächeln wurde noch strahlender und passte zu dem ihrer Großmutter. „Ich habe vielleicht selbst ein paar Fäden, die ich ziehen könnte.“
„Welche Fäden werden gezogen?“ Paige, die bereits erwähnte Schwester – die Tochter der zweiten Ex-Mrs. Bradley Baron – stürmte ins Zimmer und drückte ihrer Großmutter sofort einen Kuss auf die Wange.
Lila Baron lächelte ihre Enkelin an und winkte Eve zu sich. „Die für eine Hochzeit auf dem Weingut.“
Paiges Blick wanderte zu Eve. „Würdest du das gern tun?“
Eve presste die Lippen fest aufeinander und zog die Mundwinkel nach oben, während sie langsam nickte. „Vielleicht.“
Paige klatschte begeistert in die Hände, setzte sich auf ihren Platz und sagte zu ihrer älteren Schwester: „Nach dem Essen reden wir darüber.“
Die beiden Schwestern grinsten einander an wie die kleinen Mädchen, an die er sich noch von früher erinnerte. Obwohl er wusste, dass es viele Diskussionen über Paiges Ambitionen für das Familienweingut gegeben hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass sie genug Fortschritte gemacht hatte, um eine Baron-Familienhochzeit auszurichten.
„Wo drehst du diese Woche?“ Der Gouverneur schnitt sein Rinderfilet in Scheiben, stach hinein und ließ es auf der Gabel in der Luft baumeln, um auf Craigs Antwort zu warten.
„Vancouver.“
„Langer Flug.“
Craig nickte. Das wusste er sehr wohl. Als Executive Producer musste er zwar nicht jede Minute am Set sein, aber sein Großvater hatte ihm vor langer Zeit beigebracht, dass man nur dann einen Vorsprung hat, wenn man doppelt so hart arbeitet wie andere. Außerdem hatte der Gouverneur ihnen allen beigebracht, dass der beste Weg, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, darin bestand, immer mindestens ein Auge auf ein Projekt zu werfen. Ob geschäftlich oder privat, Craig hatte genau das getan, und mehr als einmal hatte es ihm den Hintern gerettet.
„Hattest du Glück mit der Option, von der du uns erzählt hast?“
Craig musste überlegen, von welcher Option sein Großvater da redete.
„Du weißt doch“, fuhr dieser fort, als hätte er Craigs Gedanken gelesen, „diese Schauspielerin, die in der Nähe von Austin wohnt und von der du so begeistert warst.“
Ach ja, die schwierige Diva, die vor über einem Jahrzehnt nach Hill Country gezogen war, nachdem sie einen ihrer vielen Blockbuster-Filme fertiggestellt hatte. Die Frau spielte nicht mehr in Filmen mit, die außerhalb ihres Bundesstaates gedreht wurden, und besaß zufällig die Rechte an dem heißesten Material, das momentan auf dem Markt existierte. Ein Volltreffer für eine Oscar-Nominierung, wenn man es richtig anpackte, was seine Produktionsfirma tun würde. Dieser Film würde ihn endgültig an die Spitze bringen. „Die Verhandlungen sind noch im Gange.“
„Ist das Texas-Studio immer noch der springende Punkt?“ Der Gouverneur hob sein Wasserglas an die Lippen, um zu zeigen, dass er zwanglos plaudern konnte, obwohl die Frage, ähnlich wie die seiner Großmutter bezüglich Eves Hochzeit, überhaupt nichts Zwangloses an sich hatte.
Craig nickte. Einer von vielen, wenn es um diese Diva ging.
„Ein Studio näher an deinem Wohnort wäre nicht schlecht. Hast du dir das schon mal überlegt?“
„Immer mal wieder.“ Das war wahrscheinlich nicht die Antwort, die sein Großvater hören wollte, aber es war die Wahrheit. Oder zumindest ein Teil der Wahrheit. Angesichts der Tatsache, dass die Produktionen oft gleichzeitig im ganzen Land liefen und er immer wieder Nachtflüge nahm, um mitzuhalten, hatte er mehr als nur darüber nachgedacht. Einschließlich der Kosten und der Kopfschmerzen, die ein solches Projekt mit sich bringen würde, vor allem, wenn man bedachte, dass er einen Standort in oder in der Nähe von Houston und der Ranch bevorzugte – in einem Teil des Landes, der praktisch eine Produktionswüste war. Austin lag zwar näher an seiner Wohnung, aber da er mehr Zeit auf der Ranch als in seiner eigenen Wohnung verbrachte und die Kosten und die Verfügbarkeit von Grundstücken selbst für einen Baron mehr als unerschwinglich waren, kam diese Option nicht infrage. So blieb die Möglichkeit, sich stattdessen auf Dallas zu konzentrieren, eine Stadt, die ihn näher an seinen Bruder Chase heranbringen würde und in der es bereits einen ansehnlichen Pool an Fachleuten aus der Filmindustrie gab. Trotz des Vorteils, den der Standort in Nordtexas bot, konnte er sich nicht dazu durchringen, vier Stunden fahren zu müssen, um seine Familie und die Ranch zu besuchen, genauso wenig wie dazu, die gleiche Zeit in einem Flugzeug zu verbringen. Stattdessen hatte er sein Bestes getan, um die Diva aus Texas zu locken – bisher ohne Erfolg.
„Du weißt, dass der Gesetzgeber gerade neue Steueranreize für genau diese Art von Projekten genehmigt hat?“
Er hob den Kopf und starrte seinen Großvater an. Ehrlich gesagt hatte er nicht darauf geachtet, ob der Staat Texas für derartige Projekte Vergünstigungen anbot. „Ich werde es mir ansehen.“
Der Gouverneur nickte kurz. „In meinem Büro liegt ein Ordner mit den Highlights. Wenn du daran interessiert bist, kannst du nach dem Essen einen Blick darauf werfen. In der gleichen Mappe sind auch ein paar Immobilienvorschläge, die dein Cousin Devlin vorgelegt hat.“
Wieder nickte Craig. Es war eigentlich egal, ob er interessiert war oder nicht – zumindest war er definitiv neugierig –, denn ein Vorschlag des Gouverneurs war im Prinzip ein militärischer Befehl, auch wenn seine Enkel keine Soldaten waren. In jedem Fall musste er befolgt werden. Natürlich war die Frage, die ihm durch den Kopf ging, ob dieser Vorschlag seine strapaziösen Dienstreisen und Verhandlungsmarathons beenden oder ein Schuss ins eigene Knie sein würde.
* * *
„Das nächste Mal, wenn jemand nach viel zu vielen Schokoladen-Martinis Roadtrip schreit, erinnere mich daran, dass ich darauf bestehe, dass wir wenigstens in Texas bleiben.“ Kathleen Elizabeth Donovan, besser bekannt als Kate, war durch und durch extrovertiert, mit einem Hauch von Diva. Außerdem war sie zu alt, um den ganzen Tag im Auto zu sitzen. Aber sie hatte zugestimmt, mit ihren Freunden eine spontane Reise durch zwei Bundesstaaten zu unternehmen.
„Willst du damit sagen, dass dir die heißen Quellen nicht gefallen haben?“ Joan, ihre beste Freundin seit dem Kindergarten, machte sich nicht die Mühe, von der Straße zu Kate zu blicken. Wahrscheinlich, weil Joan die Antwort bereits kannte.
„Es war wirklich durch und durch entspannend.“ Das war es wirklich gewesen. Angefangen mit dem Kühlschrank, der die Milch nicht nur gekühlt, sondern gefroren hatte. Dann war da der Teenager gewesen, dessen Highschool-Band mitten im Online-Meeting Metallica-Songs geübt hatte. Schließlich irgendein Idiot, der nicht verstanden hatte, dass man nicht einfach mit nistenden Meeresschildkröten spielen darf. An manchen Tagen kam das Leben einfach aus allen Richtungen auf einen zu. Nach drei Tagen der Ruhe und Stille in der Natur und all den kleinen Krabbeltierchen, die damit einhergingen, war Kate klar geworden, wie anstrengend die reale Welt geworden war. „Wir müssen wirklich öfter mal ausbrechen.“
„Amen. Es würde allerdings helfen, wenn du wenigstens einen Bruchteil der Zeit, die du mit der Rettung der Welt verbringst, darauf verwenden würdest, dich selbst zu verwöhnen.“
„Mag sein.“ Viel mehr konnte sie nicht sagen, schließlich hatte Joan ein gutes Argument. Solange Kate denken konnte, machte sie sich mehr Sorgen um hilflose und verlassene Tiere als um Menschen. Nicht jeder hatte das Privileg, erwachsen zu werden und seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Sie wünschte sich nur, eine erfolgreiche Umweltschützerin zu sein, würde nicht bedeuten, sich mit der geldgierigen, vor allem auf Profit ausgerichteten Seite der Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen. Die Erhaltung gefährdeter Arten und ihres natürlichen Lebensraums hatte sich als viel anspruchsvoller erwiesen als die Pflege einiger ausgesetzter Kätzchen, als sie neun Jahre alt gewesen war. Trotzdem würde sie nichts daran ändern – außer vielleicht, dass sie von nun an ein paar mehr Wochenenden mit den Mädels verbringen würde.
Weniger als eine Stunde von zu Hause entfernt, wies die Computerstimme des Navis sie ohne einen Hauch von Zweifel an, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Ein kurzer Blick auf die Karte und die lange orangefarbene und dann rote Linie entlang des Highways erklärte, warum. Nur wenige Augenblicke nach der Umleitung begann der Verkehr zu stocken, als sie sich der vorgeschlagenen Ausfahrt näherten.
Joan schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich nehme an, die zwanzig Minuten, die uns dieser kleine Umweg zusätzlich kostet, sind weniger als die Zeit, die wir verlieren würden, wenn wir auf dem Highway blieben.“
„Keine Frage.“ In den folgenden Minuten folgten sie der Landstraße und konnten den Parkplatz sehen, zu dem der Highway geworden war. „Die Leute da tun mir leid. So wie es aussieht, werden sie noch eine ganze Weile dort festsitzen.“
„Dem Himmel sei Dank, wer auch immer Navis erfunden hat! Ich glaube, ich werde ein Glas Wein trinken, wenn wir nach Hause kommen, um ihn oder sie zu ehren.“
„Ich auch.“ Kate lachte. Sie lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und betrachtete die rosa, roten und orangefarbenen Farbtupfer am Himmel, während die Sonne hinter den Baumkronen vor ihnen unterging. Der kleine Umweg hatte sie weit vom Highway weg und tief in die Landschaft geführt. Es war lange her, dass sie so viele Sterne am Abendhimmel gesehen hatte. Die Lichtverschmutzung in Houston machte sie schon seit Jahrzehnten beinahe unsichtbar.
Als sie den Blick über die Baumkronen im Mondlicht schweifen ließ, fiel ihr ein Vogel im Flug auf. Die Spannweite der Flügel war beeindruckend, und deren anmutige Bewegungen zauberten ein Lächeln auf ihr Gesicht. Für Kate war es ebenso entspannend, freilebende Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum umherstreifen – oder in diesem Fall fliegen – zu sehen, wie Zeit in den heißen Quellen zu verbringen. Ihr Herz klopfte aufgeregt, als das, was sie jetzt als Eule erkannte, auf einem tief hängenden Ast am Straßenrand landete.
„Hast du das gesehen?“ Joan deutete mit einem Arm in Richtung der Eule.
„Ja, habe ich. Großartig.“
Als sie näher kamen und Joans Auto fast unter dem Tier war, erkannte Kate, welche Eulenart ihnen eine Show geboten hatte. Wenn sie sich nicht irrte, gehörte diese spezielle Eule zu den gefährdeten Rassen, die in Texas auf einer Liste standen. Das lag vor allem daran, dass sich diese Tiere ihres Wissens nur selten westlich von Louisiana aufhielten. Als ob die Vögel eine innere Landkarte hätten, machten sie fast immer an der Staatsgrenze Halt.
„Oh, da fliegt er!“ Mit ausgestrecktem Arm zeigte Joan in die Richtung, in die der Vogel geflogen war.
Kate seufzte tief, denn ihr war klar geworden, dass sie der Eule folgen wollte. Wenn es um Wildtiere ging, musste sie herausfinden, wo diese zu Hause waren, so auch bei diesem Vogel. Sie zeigte auf einen Feldweg gleich hinter dem Baum. „Folge diesem Vogel!“
Joan wurde langsamer und wandte sich zum ersten Mal, seit sie vom Highway auf die einsame, dunkle, unbeleuchtete Landstraße abgebogen war, an Kate: „Das soll wohl ein Scherz sein?“
Kate schüttelte vehement den Kopf und deutete weiterhin nach vorn. »Ich muss herausfinden, ob er markiert und geschützt ist.«
Joan seufzte schwer. „Ich schätze, ich sollte dankbar sein, dass du keine gefährdeten Tiere entdeckt hast, bevor wir die Staatsgrenze überquert haben. Ich nehme an, der Grund, warum wir diesen armen Vogel verfolgen, ist, dass er vom Aussterben bedroht ist?“
„Kann sein.“
Diesmal runzelte Joan die Stirn, als sie von der zweispurigen Straße abbog. „Bitte sag mir nicht, dass du nur zum Spaß Vögel beobachten willst.“
„Natürlich nicht.“
„Du weißt doch, dass du nicht im Dienst bist, oder?“
„So etwas gibt es nicht.“ Die Rettung des Planeten war kein klassischer Job wie der einer Empfangsdame in einer Anwaltskanzlei. Sie sorgte sich immer um Tiere, auch wenn sie nicht allen helfen konnte.
„Aha.“ Joan zuckte zusammen, als ihr teures Auto über den unebenen Weg holperte. „Oh, ich hoffe doch sehr, wir bekommen keinen Platten. Hier draußen wird man uns nie finden.“
Einen Moment lang verlor Kate die Eule aus den Augen, und dann, als wüsste das Tier, dass sie es suchte, machte es einen Beinahe-Sturzflug und flog über die Vorderseite des Autos.
„Ich glaube, das ist ein Privatgrundstück.“ Joan umklammerte verzweifelt das Lenkrad, während sie die Umgebung absuchte und bei jedem Schlagloch, über das sie fuhren, heftiger zusammenzuckte. „Wenn irgendein alter Knacker aus seinem Farmhaus rennt und mich erschießt, kannst du meinen Eltern erklären, warum dieser Vogel so wichtig war.“
Für einen kurzen Moment hätte die Vorstellung eines alternden Ranchers mit einer Pfeife, einem Overall und einer Schrotflinte in der Größe von Texas Kate ihre absurde Verfolgungsjagd beinahe überdenken lassen. Beinahe. „Ich bin sicher, wir schaffen das schon. Jeder Rancher oder Farmer, der etwas auf sich hält, ist bei Sonnenuntergang ins Bett gegangen.“
„Das hoffe ich sehr.“
„Da!“ Kate deutete auf mehrere Gebäude auf einem überwucherten Feld, in denen die Eule verschwunden war. „Dort muss sie nisten.“
„Ich dachte, es wäre ein Er?“ Joans Stimme war eine Oktave höher, als ihr Auto erneut über ein Schlagloch fuhr.
„Er, sie, ist das wichtig?“
„Für seinen oder ihren Partner schon.“ Der Humor ihrer Freundin war zurück.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie sie das Feld überqueren und sein oder ihr Nest in der Dunkelheit finden konnten. Und was noch wichtiger war – ohne dass Joan sie umbrachte!