Flitterwochen zu fünft
Kapitel 1
„Ich liebe den Duft des Frühlings.“ Mina Ummarino stand auf der hinteren Veranda ihrer Nachbarin und schnupperte in die Luft wie ein Hund, dem der Geruch eines brutzelnden Steaks in die Nase gestiegen war.
„Duft?“ Jo, ihre jüngere und technisch versiertere Schwester, verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Das Einzige, was wir hier draußen riechen können, sind die Abgase der MacArthur Avenue.“
„Ihr seid ja bester Laune“, zog Melody Harwood die Schwestern auf. „Meinetwegen könnt ihr darüber streiten, ob die Luft nach Regen oder Blumen oder Katzenstreu riecht. Noch fünf Tage und Shane und ich werden uns unter dem herrlichen karibischen Himmel sonnen.“
„Oh.“ Jo wirbelte herum und ließ sich in den Schaukelstuhl fallen. „Seit meine Schwestern und ich das Haus neben Angie gekauft und all die tollen Geschichten gehört haben, steht eine Kreuzfahrt ganz oben auf meiner Wunschliste. Die klingen nach sehr viel Spaß. Ich hoffe nur, dass ich nicht bis zu meinen Flitterwochen warten muss, um eine zu unternehmen.“
Mina nickte. Sie hatte die gleiche Hoffnung. Unabhängig von ihren festen Absichten, gemeinsam mit ein paar Freunden einen Urlaub am Meer zu verbringen wie ihre Freundin und Nachbarin Angie, hatte das Leben in der Regel seine Art, immer andere Pläne zu schmieden. Die Tage verstrichen viel zu schnell. Pflichten und Verantwortlichkeiten und natürlich die Familie standen stets an erster Stelle. Spontaneität war für sie ein Fremdwort. Sie würde sich wirklich mehr anstrengen müssen, wenn sie einen Freundinnen-Urlaub durchziehen wollte.
„Das Einzige, was unsere Hochzeitsreise noch besser gemacht hätte, wäre gewesen, wenn wir sie gleich nach der Hochzeit hätten machen können statt erst ein Jahr später, aber es wird trotzdem unglaublich toll.“ Melody reichte Mina eine Diet Coke und kicherte. „Wenigstens hab ich fertig gepackt und bin startklar.“
„Da du es gerade erwähnst.“ Shane Harwood, ein großer Mann in Militärkleidung, trat durch die Tür zur Küche auf die Veranda.
Melody drehte sich um und warf ihrem Mann ein kitschiges Grinsen zu, das alle Schwestern auf der Veranda zum Lächeln brachte. Es war wirklich schön, der Liebe zuzuschauen.
In dem Moment, in dem Melody dem Blick ihres Mannes begegnete, verschwand das süße Grinsen jedoch. „Was ist los?“
„Einzugsbefehl.“
„Ein einziges Wort, und schon gefällt mir der Klang nicht.“
Shane stieß einen Seufzer aus und zog seine Frau an sich. „Alle Urlaube sind gecancelt. Wir laufen so bald wie möglich aus. Ich muss mir meine Tasche schnappen und mich bei der Basis melden.“
„Aber …“ Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die stahlgrauen Augen. „Die Reise.“
Er nickte. „Ich kann nichts daran ändern. Wenn nicht alle verrückten Anführer auf dieser Welt plötzlich gesunden Menschenverstand entwickeln, passieren solche Dinge.“
Die Lippen fest zusammengepresst, nickte Melody kaum merklich. Jeder auf der Veranda konnte sehen, wie sie mit den Tränen kämpfte. „Ich weiß. Es wird ein anderes Mal geben.“
„Zu diesem späten Zeitpunkt bekommen wir nichts von den Reisekosten erstattet, wenn wir stornieren. Du solltest trotzdem fahren, mit einer Freundin.“
Melody löste sich abrupt aus seinen Armen. „Ich will die Reise nicht ohne dich machen.“
„Ich weiß.“ Er zog sie wieder an sich. „Aber zumindest einer von uns beiden sollte sich eine schöne Zeit machen.“
„Das kann ich nicht.“ Den Kopf an seiner Schulter vergraben schüttelte sie ihn bestimmt von links und nach rechts. „Ich werde unsere Traumreise auf keinen Fall ohne dich antreten.“
Seine Finger zeichneten beiläufig Kreise auf ihren Rücken, als er sich vorbeugte, um ihr einen Kuss auf die Haare zu geben. „Ich weiß, mein Schatz. Es tut mir wirklich leid. Wir werden ein anderes Mal zusammen verreisen. Das verspreche ich dir.“
Er senkte seinen Kopf, und seine Lippen trafen für einen zärtlichen Kuss auf ihre. Ein Kuss, der für Minas Geschmack etwas zu intensiv wurde, sodass sie und ihre Schwestern auf einmal großes Interesse an Melodys Blumenbeeten entwickelten.
„Ich liebe dich.“ Er zog sich Zentimeter für Zentimeter von ihr zurück, küsste sie auf die Stirn und machte dann einen langen Schritt nach hinten, um den Rückzug anzutreten.
„Ich liebe dich mehr.“ Melodys Hände fielen an ihre Seiten, ihre Augen glänzten noch immer von zurückgehaltenen Tränen.
„Meine Tasche steht im Eingang. Ich melde mich, sobald ich kann.“
Melody nickte, und die vier sahen zu, wie er ins Haus und den Flur hinunterging, sich seine Tasche schnappte und zur Vordertür hinaustrat.
„Das war’s also.“
Zum ersten Mal verstand Mina was die Redewendung bedeutete, dass jemand aussah wie ein Welpe, den man getreten hatte. Melody war im Bruchteil einer Sekunde von Wolke sieben in den Keller gestürzt. „Ich denke, das schreit nach einem Ummarino-Familien-Abendessen.“
„Bei aller Liebe“, Ginnie schüttelte den Kopf, „sie braucht unsere Familie gerade ungefähr so sehr wie ein Loch im Kopf.“
„Nicht die eigentliche Familie.“ Manchmal fragte sich Mina, wie ihre Schwester alles immer so unglaublich wörtlich nehmen konnte. „Nur das Essen. Nichts tröstet die Seele wie frischer Mozzarella auf einer hausgemachten Lasagne, geröstetes Knoblauchbrot und Mamas Cannolis.“
„Sie hat recht.“ Jo lächelte. „Ich glaube, ich habe auch noch ein paar von Moms Pizzelle im Gefrierschrank.“
„Dann haben wir also einen Plan.“ Mina stand auf. „Ich gehe in Moms Küche und stibitze was von ihrer Soße. Und für alle Fälle besorge ich auf dem Heimweg noch Pekannuss-Eis.“
„Das ist nicht nötig.“ Ginnie schüttelte erneut den Kopf. „In der Tiefkühltruhe in der Garage sind mindestens zwei Liter Pekannuss-Eis.“
Jo sah ihre Schwester stirnrunzelnd an. „Das hast du uns bisher vorenthalten. Wo genau in der Tiefkühltruhe?“
Grinsend wie eine Katze mit einem Bauch voller Sahne, zuckte Ginnie mit den Schultern, als sie das Baby der Familie ansah. „Hinter dem Spinat.“
„Ich weiß nicht.“ Melody lehnte sich über das Geländer der Veranda. „Vielleicht kuschle ich mich einfach mit einem schnöden Buch ins Bett – am besten bis Shane nach Hause kommt.“
„Unsinn.“ Mina ging zu ihrer Nachbarin und stellte sich neben sie. „Ich rufe Angie an. Wir machen uns einen schönen langen Mädelsabend, und vorsichtshalber bringe ich Papas Chianti mit.“
Zwei Stunden und eine Flasche Wein später lächelten die fünf Frauen, kicherten und aßen frisch gebackene Lasagne.
„Die Idee von deinem Mann“, sagte Angie nach einer Weile, „war gar nicht so schlecht. Als meine Freundin, der früher Minas Haus gehört hat, von ihrem Verlobten verlassen worden ist, ist sie auch allein auf Reisen gegangen. Und sie hatte eine tolle Zeit.“
Ginnie kicherte. „Deinen Geschichten nach zu urteilen hat jeder, der auf eine Kreuzfahrt geht, eine tolle Zeit.“
„Ich auf jeden Fall.“ Angie lächelte.
„War das nicht die Hochzeits-Kreuzfahrt, auf der deine Freundin ihren Mann kennengelernt hat?“, fragte Jo.
Angie nickte. „Genau die.“
„Ich brauche keinen Ehemann.“ Melody zupfte ein Stück warmes Knoblauchbrot auseinander und biss genüsslich hinein, dann hob sie einen Finger und schluckte schnell. „Aber zwei von euch sollten mitfahren.“
„Zwei von welchen?“ Ginnie griff nach ihrem Wein.
„Von euch.“ Melody schloss mit einer Geste die Frauen am Tisch ein. „Ihr lost es einfach aus oder so.“
„Ich nicht.“ Angie schüttelte den Kopf. „Devon und ich haben schon Pläne, und die beinhalten nicht, dass wir in letzter Minute eine Woche Urlaub nehmen.“
„Was ist mit euch dreien?“ Melody sah fast so aufgeregt aus, wie sie es gewesen war, bevor ihr Mann ihr die schlechte Nachricht überbracht hatte.
Minas erster Impuls war, mit auf keinen Fall zu antworten. Schließlich gab es Arbeit und Dinge zu tun und all diese lästigen kleinen Verpflichtungen, von denen das Fehlen beim Sonntagsessen bei ihrer Mutter zu Hause ganz oben auf der Liste stand. Oder etwa nicht? Sie musste tatsächlich innehalten und einen Moment darüber nachdenken. Sie hatte so lange keinen Urlaub mehr genommen, dass sie genügend freie Tage angesammelt hatte, um mehrere Kreuzfahrten hintereinander unternehmen zu können. Und wie schrecklich wäre es, ihrem Vokabular das Wort Spontaneität hinzuzufügen?
Sie deutete mit dem Kopf auf ihre beiden Schwestern. „Vielleicht …“
„Wirklich?“ Ginnie blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, kaum dass ihr das Wort über die Lippen gekommen war. „Genau das Gleiche habe ich auch gerade gedacht, aber ich wäre niemals davon ausgegangen, dass du dazu bereit wärst. Also einfach so spontan deine Pläne umzuschmeißen.“
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich etwas weniger plane und einfach ein bisschen mehr mache.“ Die aktuelle Situation ließ in Mina die Frage aufkeimen, was sie alles verpasst hatte, indem sie das Ungeplante immer aufgeschoben hatte.
Ein Lächeln umspielte Ginnies Mundwinkel. „Könnte Spaß machen.“
„Moment mal.“ Jo hob eine Hand. „Warum solltet nur ihr beide Spaß haben? Ich hab noch einen Haufen Urlaubstage übrig.“
„Weil wir älter sind.“ Mina warf ihrer kleinen Schwester – die schon sehr lange kein Kind mehr war – ein breites Grinsen zu. Sie liefen ihr seit dem Tag ihrer Geburt den Rang ab.
Mina hatte keine Ahnung, warum ihr Magen nicht rebellierte. Sie hatte noch nie wirklich spontan etwas unternommen, schon gar nicht so etwas Großes wie eine Reise, aber die ganze Idee dahinter war schließlich, etwas Neues auszuprobieren.
„Der Spruch von wegen Alter vor Schönheit nutzt sich langsam ab“, bemerkte Jo mit einem breiten Grinsen, offensichtlich stolz auf sich selbst angesichts der kleinen Wendung in dem uralten Tanz, den die drei Schwestern seit jeher vollführten.
„Bevor ihr anfangt, Strohhalme zu ziehen“, Angie wedelte mit den Händen, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, „in vielen der Kabinen gibt es die Möglichkeit, Zustellbetten für Familien hinzuzubuchen. Ruft doch einfach mal dort an und fragt, ob es möglich wäre, eine weitere Person in der Kabine unterzubringen.“
„Wissen wir, ob es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die Möglichkeit gibt, die Namen der Passagiere zu ändern?“ In Gedanken packte Mina bereits ihre Koffer und träumte davon, an einem warmen Strand zu faulenzen. Sie fände es sehr schade, wenn das nicht klappen würde.
„Das ist kein Problem“, meldete sich Angie zu Wort. „Damit kenne ich mich aus – die Kreuzfahrtschiffe brauchen nicht mehr als vierundzwanzig Stunden Vorlauf, um die Passagierliste anzupassen.“
Mina sah erst Ginnie und dann Jo an, bevor sie leise fragte, ob sie tatsächlich zusammen in den Urlaub fahren würden.
Die beiden Schwestern warfen sich einen verstohlenen Seitenblick zu, lächelten und wandten sich dann wieder Mina zu. „Ich schätze, wir machen eine Kreuzfahrt!“
* * *
„Hey, Kumpel, ich wollte dich gerade anrufen. Du wärst stolz auf mich.“ Kent Harwood war gerade von einem Kampf gegen die Bemühungen seiner Chefs zurückgekommen, ihn in den neuesten Ärger auf der Arbeit mit reinzuziehen. Er hatte ihnen rechtzeitig Bescheid gegeben, dass er sich ein paar Tage Urlaub zum Hundesitten für das Rudel seines Bruders nehmen würde, während Shane und seine Frau auf ihrer lang ersehnten Kreuzfahrt waren. Jemand anderes konnte einspringen und das Projekt in Ordnung bringen. Er freute sich tatsächlich sehr auf seine kleine fünftägige Auszeit in einem Haus mit Garten ohne herumtrampelnde Nachbarn im Obergeschoss, dröhnende Stereoanlagen von Teenagern nebenan und unvorhersehbare Probleme im Job. „Ich habe mich bei der Arbeit gewehrt und werde übermorgen zu euch runterfahren, um für deine Hunde den lieben Onkel Kent zu spielen.“
„Gut, dass du es ansprichst …“
Oh nein, der Ton gefiel ihm gar nicht. Im Laufe der Jahre hatte Kent gelernt, die Laune seines Bruder anhand des Ausdrucks in seinen Augen oder seines Tonfalls herauszufinden. Und seine Stimme schrie regelrecht „schlechte Nachrichten“.
„Was ist los?“
„Ich muss zur Basis. Ich kann die Kreuzfahrt mit Melody nicht machen.“
„Oh Mann.“ Die beiden hatten sich so lange auf diese Reise gefreut, dass es Kent schrecklich leidtat. „Wie bald?“
„Sehr bald. Sofort.“
Eine Sache, die Kent über die Militärkarriere seines Bruders gelernt hatte, war, dass fast alles vertraulich war – und dass die Familie nur selten in dieses Vertrauen mit einbezogen werden durfte.
„Und was jetzt?“
„Ich bin schon auf dem Weg zur Basis.“
„Weiß Melody Bescheid?“
„Alter, sie ist meine Frau. Natürlich habe ich es ihr zuerst gesagt. Und persönlich.“
„Sorry.“ Selbst nach fast einem Jahr neigte Kent noch immer dazu zu vergessen, dass sein Bruder jetzt die Hälfte eines Ganzen war. Sie waren beide lange Junggesellen gewesen, bis Shane Melody kennengelernt hatte. Die beiden waren schnell zu einer solchen Einheit geworden, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit verlobt hatten und sechs Monate später vor den Traualter getreten waren. Nach der Hochzeit hatten sie sich vorerst mit einem langen Flitter-Wochenende in einem lokalen Resort zufriedengeben müssen, aber sich auf die bevorstehende Reise zum ersten Jahrestag freuen können. Das war wirklich eine beschissene Wendung der Dinge.
„Wie kann ich helfen?“ Nicht, dass Kent wirklich damit rechnete, von großem Nutzen zu sein, aber wenn sein Bruder oder seine Schwägerin ihn für irgendetwas brauchten, stand er bereit.
„Was hältst du von einer Kreuzfahrt?“
„Sag das noch mal.“ Er musste sich verhört haben. Es machte ihm nichts aus einzuspringen, wann immer Not am Mann war, aber seine Schwägerin auf eine Kreuzfahrt zu begleiten, hatte er als Option nicht auf dem Radar gehabt.
„Ich habe Melody gesagt, dass sie eine Freundin mitnehmen soll, aber ohne mich möchte sie nicht fahren.“
„Wofür ich ihr ehrlich gesagt keinen Vorwurf machen kann.“
„Die Kabine ist bezahlt, jemand sollte sie nutzen. Du hast sowieso schon eine Woche Urlaub eingereicht, und wir brauchen keinen Hundesitter mehr.“
„Ich weiß nicht.“ Er hatte eine Woche frei, und diese in der Karibik zu verbringen, wäre sicherlich die ultimative Auszeit, aber … „Kann ich denn einfach eure Kabine übernehmen? Ich meine, das ist immerhin nicht nur eine Tischreservierung in einem Restaurant.“
„Ja. Es ist sogar überraschend einfach. Bevor ich mit Melody geredet habe, habe ich mich erkundigt, ob es möglich wäre, dass jemand anderes an meiner beziehungsweise unserer Stelle mitfährt.“
Was bedeutete, dass er, wenn er seinem Bruder nicht die gesamten Reisekosten allein erstatten wollte, eine Urlaubsbegleitung finden musste, und zwar ziemlich schnell.
„Wie lange hab ich Zeit, es mir zu überlegen?“
„Zwei Tage. Danach beginnt die 24-Stunden-Frist, ab dann können wir die Tickets nicht mehr umbuchen. Und so kurzfristig finde ich auch niemand anderen, der eventuell Lust hätte, an unserer Stelle mitzufahren.“
Sein Bruder hatte recht. Die Zeit drängte, und solange es WLAN auf dem Schiff gab, sollte er in der Lage sein, einen Freund zu überreden, sich ihm anzuschließen.
„Okay. Ich fahre mit.“
„Großartig. Damit nimmst du uns eine große Last ab. Ich schicke dir möglichst schnell alle Reservierungsinformationen zu. Ich bin fast an der Basis.“
Ein Satz, der Kent beinahe dazu brachte, etwas Dummes wie „Pass auf dich auf“ oder „Halt den Kopf gesenkt“ zu sagen, aber nach all den Jahren hatte er gelernt, seine Sorgen für sich zu behalten. „Okay, um alles Weitere kümmere ich mich dann selbst. Und ich werde auch dafür sorgen, dass deine Frau weiß, dass sie auf mich zählen kann, falls sie etwas braucht, während du weg bist.“
„Danke, Mann. Ich hasse es, dass ich sie so kurzfristig allein lassen muss, aber es ist, wie es ist. Hoffentlich wird der Auftrag nicht lange dauern und ich bin schneller wieder zu Hause als gedacht.“
„Amen.“ Das dachte Kent jedes Mal, wenn sein Bruder an einem Hot Spot eingesetzt wurde – was er glücklicherweise nie mit Sicherheit wusste, bis Shane zurückkehrte. Aber er hoffte, dass es dieses Mal genau wie alle anderen Male laufen würde und sein Bruder bald gesund und munter nach Hause kam.
„Ich bin da, muss jetzt Schluss machen. Ich rufe an, wenn ich kann. Danke. Für alles.“
„Jederzeit, Kumpel. Jederzeit.“ Schon ihr ganzes Leben lang standen sie füreinander ein, gaben aufeinander Acht. Das war auch dieses Mal nicht anders.
Kent tippte die Nummer seines besten Freundes und Kollegen ein und wartete darauf, dass sein Anruf entgegengenommen wurde.
„Hey, Mann. Was gibt’s?“
„Was hältst du von Sonnenschein, Sonnenschein und noch mehr Sonnenschein?“
„Sag das noch mal.“
„Karibik, Sand und Meer. Was meinst du?“
„Hast du heute zum Mittagessen einen Drink gehabt?“ Jim war ein kluger Kerl, aber manchmal stand er einfach ein wenig auf dem Schlauch.
„Nein. Shane musste seine Kreuzfahrt absagen. Deswegen bin ich jetzt der glückliche Tourist, der auf der Suche nach einem Reisepartner ist.“
„Bin dabei.“
„Willst du nicht erst mal wissen, wohin es genau geht? Oder wie lange?“
„Nö.“ Kent konnte fast hören, wie sein Freund den Kopf schüttelte. „Alles, was nicht hier ist, passt für mich. Und nach der Woche, die wir hinter uns haben: je länger, desto besser. Wann geht’s los?“
„Samstag.“
„Diesen Samstag?“
„Ja. Schaffst du das nicht?“
„Machst du Witze? Hier ist es mir viel zu kalt. Ich bin dabei.“
„Großartig. Ich melde mich später wieder, wenn ich alle Details geklärt habe. Oh, und schick mir deine Passnummer. Die werde ich brauchen, um die Reservierungen umzubuchen.“
„Mach ich gleich.“
„Perfekt. Ich spüre die Sonne schon auf meinem Rücken brennen.“
Jim lachte. „Vergiss nur nicht, dich umzudrehen.“
Er würde sich an viele Dinge erinnern müssen, aber im Moment war nichts wichtig außer dieser Sache. Er würde Urlaub machen. Einen richtigen Urlaub zum Abschalten und Entspannen. Und wenn es so gut lief, wie er erwartete, würde er vielleicht alle Brücken hier abbrechen und nie wieder zurückkommen.
„Ich liebe den Duft des Frühlings.“ Mina Ummarino stand auf der hinteren Veranda ihrer Nachbarin und schnupperte in die Luft wie ein Hund, dem der Geruch eines brutzelnden Steaks in die Nase gestiegen war.
„Duft?“ Jo, ihre jüngere und technisch versiertere Schwester, verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Das Einzige, was wir hier draußen riechen können, sind die Abgase der MacArthur Avenue.“
„Ihr seid ja bester Laune“, zog Melody Harwood die Schwestern auf. „Meinetwegen könnt ihr darüber streiten, ob die Luft nach Regen oder Blumen oder Katzenstreu riecht. Noch fünf Tage und Shane und ich werden uns unter dem herrlichen karibischen Himmel sonnen.“
„Oh.“ Jo wirbelte herum und ließ sich in den Schaukelstuhl fallen. „Seit meine Schwestern und ich das Haus neben Angie gekauft und all die tollen Geschichten gehört haben, steht eine Kreuzfahrt ganz oben auf meiner Wunschliste. Die klingen nach sehr viel Spaß. Ich hoffe nur, dass ich nicht bis zu meinen Flitterwochen warten muss, um eine zu unternehmen.“
Mina nickte. Sie hatte die gleiche Hoffnung. Unabhängig von ihren festen Absichten, gemeinsam mit ein paar Freunden einen Urlaub am Meer zu verbringen wie ihre Freundin und Nachbarin Angie, hatte das Leben in der Regel seine Art, immer andere Pläne zu schmieden. Die Tage verstrichen viel zu schnell. Pflichten und Verantwortlichkeiten und natürlich die Familie standen stets an erster Stelle. Spontaneität war für sie ein Fremdwort. Sie würde sich wirklich mehr anstrengen müssen, wenn sie einen Freundinnen-Urlaub durchziehen wollte.
„Das Einzige, was unsere Hochzeitsreise noch besser gemacht hätte, wäre gewesen, wenn wir sie gleich nach der Hochzeit hätten machen können statt erst ein Jahr später, aber es wird trotzdem unglaublich toll.“ Melody reichte Mina eine Diet Coke und kicherte. „Wenigstens hab ich fertig gepackt und bin startklar.“
„Da du es gerade erwähnst.“ Shane Harwood, ein großer Mann in Militärkleidung, trat durch die Tür zur Küche auf die Veranda.
Melody drehte sich um und warf ihrem Mann ein kitschiges Grinsen zu, das alle Schwestern auf der Veranda zum Lächeln brachte. Es war wirklich schön, der Liebe zuzuschauen.
In dem Moment, in dem Melody dem Blick ihres Mannes begegnete, verschwand das süße Grinsen jedoch. „Was ist los?“
„Einzugsbefehl.“
„Ein einziges Wort, und schon gefällt mir der Klang nicht.“
Shane stieß einen Seufzer aus und zog seine Frau an sich. „Alle Urlaube sind gecancelt. Wir laufen so bald wie möglich aus. Ich muss mir meine Tasche schnappen und mich bei der Basis melden.“
„Aber …“ Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die stahlgrauen Augen. „Die Reise.“
Er nickte. „Ich kann nichts daran ändern. Wenn nicht alle verrückten Anführer auf dieser Welt plötzlich gesunden Menschenverstand entwickeln, passieren solche Dinge.“
Die Lippen fest zusammengepresst, nickte Melody kaum merklich. Jeder auf der Veranda konnte sehen, wie sie mit den Tränen kämpfte. „Ich weiß. Es wird ein anderes Mal geben.“
„Zu diesem späten Zeitpunkt bekommen wir nichts von den Reisekosten erstattet, wenn wir stornieren. Du solltest trotzdem fahren, mit einer Freundin.“
Melody löste sich abrupt aus seinen Armen. „Ich will die Reise nicht ohne dich machen.“
„Ich weiß.“ Er zog sie wieder an sich. „Aber zumindest einer von uns beiden sollte sich eine schöne Zeit machen.“
„Das kann ich nicht.“ Den Kopf an seiner Schulter vergraben schüttelte sie ihn bestimmt von links und nach rechts. „Ich werde unsere Traumreise auf keinen Fall ohne dich antreten.“
Seine Finger zeichneten beiläufig Kreise auf ihren Rücken, als er sich vorbeugte, um ihr einen Kuss auf die Haare zu geben. „Ich weiß, mein Schatz. Es tut mir wirklich leid. Wir werden ein anderes Mal zusammen verreisen. Das verspreche ich dir.“
Er senkte seinen Kopf, und seine Lippen trafen für einen zärtlichen Kuss auf ihre. Ein Kuss, der für Minas Geschmack etwas zu intensiv wurde, sodass sie und ihre Schwestern auf einmal großes Interesse an Melodys Blumenbeeten entwickelten.
„Ich liebe dich.“ Er zog sich Zentimeter für Zentimeter von ihr zurück, küsste sie auf die Stirn und machte dann einen langen Schritt nach hinten, um den Rückzug anzutreten.
„Ich liebe dich mehr.“ Melodys Hände fielen an ihre Seiten, ihre Augen glänzten noch immer von zurückgehaltenen Tränen.
„Meine Tasche steht im Eingang. Ich melde mich, sobald ich kann.“
Melody nickte, und die vier sahen zu, wie er ins Haus und den Flur hinunterging, sich seine Tasche schnappte und zur Vordertür hinaustrat.
„Das war’s also.“
Zum ersten Mal verstand Mina was die Redewendung bedeutete, dass jemand aussah wie ein Welpe, den man getreten hatte. Melody war im Bruchteil einer Sekunde von Wolke sieben in den Keller gestürzt. „Ich denke, das schreit nach einem Ummarino-Familien-Abendessen.“
„Bei aller Liebe“, Ginnie schüttelte den Kopf, „sie braucht unsere Familie gerade ungefähr so sehr wie ein Loch im Kopf.“
„Nicht die eigentliche Familie.“ Manchmal fragte sich Mina, wie ihre Schwester alles immer so unglaublich wörtlich nehmen konnte. „Nur das Essen. Nichts tröstet die Seele wie frischer Mozzarella auf einer hausgemachten Lasagne, geröstetes Knoblauchbrot und Mamas Cannolis.“
„Sie hat recht.“ Jo lächelte. „Ich glaube, ich habe auch noch ein paar von Moms Pizzelle im Gefrierschrank.“
„Dann haben wir also einen Plan.“ Mina stand auf. „Ich gehe in Moms Küche und stibitze was von ihrer Soße. Und für alle Fälle besorge ich auf dem Heimweg noch Pekannuss-Eis.“
„Das ist nicht nötig.“ Ginnie schüttelte erneut den Kopf. „In der Tiefkühltruhe in der Garage sind mindestens zwei Liter Pekannuss-Eis.“
Jo sah ihre Schwester stirnrunzelnd an. „Das hast du uns bisher vorenthalten. Wo genau in der Tiefkühltruhe?“
Grinsend wie eine Katze mit einem Bauch voller Sahne, zuckte Ginnie mit den Schultern, als sie das Baby der Familie ansah. „Hinter dem Spinat.“
„Ich weiß nicht.“ Melody lehnte sich über das Geländer der Veranda. „Vielleicht kuschle ich mich einfach mit einem schnöden Buch ins Bett – am besten bis Shane nach Hause kommt.“
„Unsinn.“ Mina ging zu ihrer Nachbarin und stellte sich neben sie. „Ich rufe Angie an. Wir machen uns einen schönen langen Mädelsabend, und vorsichtshalber bringe ich Papas Chianti mit.“
Zwei Stunden und eine Flasche Wein später lächelten die fünf Frauen, kicherten und aßen frisch gebackene Lasagne.
„Die Idee von deinem Mann“, sagte Angie nach einer Weile, „war gar nicht so schlecht. Als meine Freundin, der früher Minas Haus gehört hat, von ihrem Verlobten verlassen worden ist, ist sie auch allein auf Reisen gegangen. Und sie hatte eine tolle Zeit.“
Ginnie kicherte. „Deinen Geschichten nach zu urteilen hat jeder, der auf eine Kreuzfahrt geht, eine tolle Zeit.“
„Ich auf jeden Fall.“ Angie lächelte.
„War das nicht die Hochzeits-Kreuzfahrt, auf der deine Freundin ihren Mann kennengelernt hat?“, fragte Jo.
Angie nickte. „Genau die.“
„Ich brauche keinen Ehemann.“ Melody zupfte ein Stück warmes Knoblauchbrot auseinander und biss genüsslich hinein, dann hob sie einen Finger und schluckte schnell. „Aber zwei von euch sollten mitfahren.“
„Zwei von welchen?“ Ginnie griff nach ihrem Wein.
„Von euch.“ Melody schloss mit einer Geste die Frauen am Tisch ein. „Ihr lost es einfach aus oder so.“
„Ich nicht.“ Angie schüttelte den Kopf. „Devon und ich haben schon Pläne, und die beinhalten nicht, dass wir in letzter Minute eine Woche Urlaub nehmen.“
„Was ist mit euch dreien?“ Melody sah fast so aufgeregt aus, wie sie es gewesen war, bevor ihr Mann ihr die schlechte Nachricht überbracht hatte.
Minas erster Impuls war, mit auf keinen Fall zu antworten. Schließlich gab es Arbeit und Dinge zu tun und all diese lästigen kleinen Verpflichtungen, von denen das Fehlen beim Sonntagsessen bei ihrer Mutter zu Hause ganz oben auf der Liste stand. Oder etwa nicht? Sie musste tatsächlich innehalten und einen Moment darüber nachdenken. Sie hatte so lange keinen Urlaub mehr genommen, dass sie genügend freie Tage angesammelt hatte, um mehrere Kreuzfahrten hintereinander unternehmen zu können. Und wie schrecklich wäre es, ihrem Vokabular das Wort Spontaneität hinzuzufügen?
Sie deutete mit dem Kopf auf ihre beiden Schwestern. „Vielleicht …“
„Wirklich?“ Ginnie blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, kaum dass ihr das Wort über die Lippen gekommen war. „Genau das Gleiche habe ich auch gerade gedacht, aber ich wäre niemals davon ausgegangen, dass du dazu bereit wärst. Also einfach so spontan deine Pläne umzuschmeißen.“
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich etwas weniger plane und einfach ein bisschen mehr mache.“ Die aktuelle Situation ließ in Mina die Frage aufkeimen, was sie alles verpasst hatte, indem sie das Ungeplante immer aufgeschoben hatte.
Ein Lächeln umspielte Ginnies Mundwinkel. „Könnte Spaß machen.“
„Moment mal.“ Jo hob eine Hand. „Warum solltet nur ihr beide Spaß haben? Ich hab noch einen Haufen Urlaubstage übrig.“
„Weil wir älter sind.“ Mina warf ihrer kleinen Schwester – die schon sehr lange kein Kind mehr war – ein breites Grinsen zu. Sie liefen ihr seit dem Tag ihrer Geburt den Rang ab.
Mina hatte keine Ahnung, warum ihr Magen nicht rebellierte. Sie hatte noch nie wirklich spontan etwas unternommen, schon gar nicht so etwas Großes wie eine Reise, aber die ganze Idee dahinter war schließlich, etwas Neues auszuprobieren.
„Der Spruch von wegen Alter vor Schönheit nutzt sich langsam ab“, bemerkte Jo mit einem breiten Grinsen, offensichtlich stolz auf sich selbst angesichts der kleinen Wendung in dem uralten Tanz, den die drei Schwestern seit jeher vollführten.
„Bevor ihr anfangt, Strohhalme zu ziehen“, Angie wedelte mit den Händen, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, „in vielen der Kabinen gibt es die Möglichkeit, Zustellbetten für Familien hinzuzubuchen. Ruft doch einfach mal dort an und fragt, ob es möglich wäre, eine weitere Person in der Kabine unterzubringen.“
„Wissen wir, ob es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die Möglichkeit gibt, die Namen der Passagiere zu ändern?“ In Gedanken packte Mina bereits ihre Koffer und träumte davon, an einem warmen Strand zu faulenzen. Sie fände es sehr schade, wenn das nicht klappen würde.
„Das ist kein Problem“, meldete sich Angie zu Wort. „Damit kenne ich mich aus – die Kreuzfahrtschiffe brauchen nicht mehr als vierundzwanzig Stunden Vorlauf, um die Passagierliste anzupassen.“
Mina sah erst Ginnie und dann Jo an, bevor sie leise fragte, ob sie tatsächlich zusammen in den Urlaub fahren würden.
Die beiden Schwestern warfen sich einen verstohlenen Seitenblick zu, lächelten und wandten sich dann wieder Mina zu. „Ich schätze, wir machen eine Kreuzfahrt!“
* * *
„Hey, Kumpel, ich wollte dich gerade anrufen. Du wärst stolz auf mich.“ Kent Harwood war gerade von einem Kampf gegen die Bemühungen seiner Chefs zurückgekommen, ihn in den neuesten Ärger auf der Arbeit mit reinzuziehen. Er hatte ihnen rechtzeitig Bescheid gegeben, dass er sich ein paar Tage Urlaub zum Hundesitten für das Rudel seines Bruders nehmen würde, während Shane und seine Frau auf ihrer lang ersehnten Kreuzfahrt waren. Jemand anderes konnte einspringen und das Projekt in Ordnung bringen. Er freute sich tatsächlich sehr auf seine kleine fünftägige Auszeit in einem Haus mit Garten ohne herumtrampelnde Nachbarn im Obergeschoss, dröhnende Stereoanlagen von Teenagern nebenan und unvorhersehbare Probleme im Job. „Ich habe mich bei der Arbeit gewehrt und werde übermorgen zu euch runterfahren, um für deine Hunde den lieben Onkel Kent zu spielen.“
„Gut, dass du es ansprichst …“
Oh nein, der Ton gefiel ihm gar nicht. Im Laufe der Jahre hatte Kent gelernt, die Laune seines Bruder anhand des Ausdrucks in seinen Augen oder seines Tonfalls herauszufinden. Und seine Stimme schrie regelrecht „schlechte Nachrichten“.
„Was ist los?“
„Ich muss zur Basis. Ich kann die Kreuzfahrt mit Melody nicht machen.“
„Oh Mann.“ Die beiden hatten sich so lange auf diese Reise gefreut, dass es Kent schrecklich leidtat. „Wie bald?“
„Sehr bald. Sofort.“
Eine Sache, die Kent über die Militärkarriere seines Bruders gelernt hatte, war, dass fast alles vertraulich war – und dass die Familie nur selten in dieses Vertrauen mit einbezogen werden durfte.
„Und was jetzt?“
„Ich bin schon auf dem Weg zur Basis.“
„Weiß Melody Bescheid?“
„Alter, sie ist meine Frau. Natürlich habe ich es ihr zuerst gesagt. Und persönlich.“
„Sorry.“ Selbst nach fast einem Jahr neigte Kent noch immer dazu zu vergessen, dass sein Bruder jetzt die Hälfte eines Ganzen war. Sie waren beide lange Junggesellen gewesen, bis Shane Melody kennengelernt hatte. Die beiden waren schnell zu einer solchen Einheit geworden, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit verlobt hatten und sechs Monate später vor den Traualter getreten waren. Nach der Hochzeit hatten sie sich vorerst mit einem langen Flitter-Wochenende in einem lokalen Resort zufriedengeben müssen, aber sich auf die bevorstehende Reise zum ersten Jahrestag freuen können. Das war wirklich eine beschissene Wendung der Dinge.
„Wie kann ich helfen?“ Nicht, dass Kent wirklich damit rechnete, von großem Nutzen zu sein, aber wenn sein Bruder oder seine Schwägerin ihn für irgendetwas brauchten, stand er bereit.
„Was hältst du von einer Kreuzfahrt?“
„Sag das noch mal.“ Er musste sich verhört haben. Es machte ihm nichts aus einzuspringen, wann immer Not am Mann war, aber seine Schwägerin auf eine Kreuzfahrt zu begleiten, hatte er als Option nicht auf dem Radar gehabt.
„Ich habe Melody gesagt, dass sie eine Freundin mitnehmen soll, aber ohne mich möchte sie nicht fahren.“
„Wofür ich ihr ehrlich gesagt keinen Vorwurf machen kann.“
„Die Kabine ist bezahlt, jemand sollte sie nutzen. Du hast sowieso schon eine Woche Urlaub eingereicht, und wir brauchen keinen Hundesitter mehr.“
„Ich weiß nicht.“ Er hatte eine Woche frei, und diese in der Karibik zu verbringen, wäre sicherlich die ultimative Auszeit, aber … „Kann ich denn einfach eure Kabine übernehmen? Ich meine, das ist immerhin nicht nur eine Tischreservierung in einem Restaurant.“
„Ja. Es ist sogar überraschend einfach. Bevor ich mit Melody geredet habe, habe ich mich erkundigt, ob es möglich wäre, dass jemand anderes an meiner beziehungsweise unserer Stelle mitfährt.“
Was bedeutete, dass er, wenn er seinem Bruder nicht die gesamten Reisekosten allein erstatten wollte, eine Urlaubsbegleitung finden musste, und zwar ziemlich schnell.
„Wie lange hab ich Zeit, es mir zu überlegen?“
„Zwei Tage. Danach beginnt die 24-Stunden-Frist, ab dann können wir die Tickets nicht mehr umbuchen. Und so kurzfristig finde ich auch niemand anderen, der eventuell Lust hätte, an unserer Stelle mitzufahren.“
Sein Bruder hatte recht. Die Zeit drängte, und solange es WLAN auf dem Schiff gab, sollte er in der Lage sein, einen Freund zu überreden, sich ihm anzuschließen.
„Okay. Ich fahre mit.“
„Großartig. Damit nimmst du uns eine große Last ab. Ich schicke dir möglichst schnell alle Reservierungsinformationen zu. Ich bin fast an der Basis.“
Ein Satz, der Kent beinahe dazu brachte, etwas Dummes wie „Pass auf dich auf“ oder „Halt den Kopf gesenkt“ zu sagen, aber nach all den Jahren hatte er gelernt, seine Sorgen für sich zu behalten. „Okay, um alles Weitere kümmere ich mich dann selbst. Und ich werde auch dafür sorgen, dass deine Frau weiß, dass sie auf mich zählen kann, falls sie etwas braucht, während du weg bist.“
„Danke, Mann. Ich hasse es, dass ich sie so kurzfristig allein lassen muss, aber es ist, wie es ist. Hoffentlich wird der Auftrag nicht lange dauern und ich bin schneller wieder zu Hause als gedacht.“
„Amen.“ Das dachte Kent jedes Mal, wenn sein Bruder an einem Hot Spot eingesetzt wurde – was er glücklicherweise nie mit Sicherheit wusste, bis Shane zurückkehrte. Aber er hoffte, dass es dieses Mal genau wie alle anderen Male laufen würde und sein Bruder bald gesund und munter nach Hause kam.
„Ich bin da, muss jetzt Schluss machen. Ich rufe an, wenn ich kann. Danke. Für alles.“
„Jederzeit, Kumpel. Jederzeit.“ Schon ihr ganzes Leben lang standen sie füreinander ein, gaben aufeinander Acht. Das war auch dieses Mal nicht anders.
Kent tippte die Nummer seines besten Freundes und Kollegen ein und wartete darauf, dass sein Anruf entgegengenommen wurde.
„Hey, Mann. Was gibt’s?“
„Was hältst du von Sonnenschein, Sonnenschein und noch mehr Sonnenschein?“
„Sag das noch mal.“
„Karibik, Sand und Meer. Was meinst du?“
„Hast du heute zum Mittagessen einen Drink gehabt?“ Jim war ein kluger Kerl, aber manchmal stand er einfach ein wenig auf dem Schlauch.
„Nein. Shane musste seine Kreuzfahrt absagen. Deswegen bin ich jetzt der glückliche Tourist, der auf der Suche nach einem Reisepartner ist.“
„Bin dabei.“
„Willst du nicht erst mal wissen, wohin es genau geht? Oder wie lange?“
„Nö.“ Kent konnte fast hören, wie sein Freund den Kopf schüttelte. „Alles, was nicht hier ist, passt für mich. Und nach der Woche, die wir hinter uns haben: je länger, desto besser. Wann geht’s los?“
„Samstag.“
„Diesen Samstag?“
„Ja. Schaffst du das nicht?“
„Machst du Witze? Hier ist es mir viel zu kalt. Ich bin dabei.“
„Großartig. Ich melde mich später wieder, wenn ich alle Details geklärt habe. Oh, und schick mir deine Passnummer. Die werde ich brauchen, um die Reservierungen umzubuchen.“
„Mach ich gleich.“
„Perfekt. Ich spüre die Sonne schon auf meinem Rücken brennen.“
Jim lachte. „Vergiss nur nicht, dich umzudrehen.“
Er würde sich an viele Dinge erinnern müssen, aber im Moment war nichts wichtig außer dieser Sache. Er würde Urlaub machen. Einen richtigen Urlaub zum Abschalten und Entspannen. Und wenn es so gut lief, wie er erwartete, würde er vielleicht alle Brücken hier abbrechen und nie wieder zurückkommen.