Verliebt in Chloe
Kapitel Eins
Es gab kaum etwas im Leben, was einen Sonnenaufgang in West-Texas übertreffen konnte. Durch die Mischung von Rot-, Orange-, Gelb- und Rosatönen entstand ein Kaleidoskop aus Farben, das selbst den müdesten Seelen neue Energie gab. Und heute Morgen war Officer Reed Taylor müde.
Die Weihnachtszeit war in vollem Gange, und so oft Weihnachten das Beste in den meisten Menschen weckte, so oft brachte es auch das Verrückte in anderen zum Vorschein. Die Nachtschicht des Tuckers Bluff Police Departments dauerte noch eine Stunde. Und nachdem er eine Bande jugendlicher Witzbolde, die fröhlich Kühe umschubsten, von einem Ende des Farraday-Grundstücks bis zur Nordseite des Grundstücks der Bradys gejagt hatte, fühlte er sich, als hätte seine Schicht Tage, nicht Stunden gedauert.
Reed konnte nur hoffen, dass die guten Leute von Tuckers Bluff von weiterem Unheil Abstand nehmen würden, bis D.J. an der Reihe wäre, sich darum zu kümmern. Er warf einen Blick auf das Armaturenbrett. In vierundfünfzig Minuten wäre er auf dem Heimweg und könnte schlafen, bis der verrückte, verpeilte Hahn seines neuen Nachbarn bei Sonnenuntergang krähte. Dieser Gedanke brachte ihn zum Lächeln.
Es war eine gute Entscheidung gewesen, aufzuhören, zur Miete zu wohnen, und sich ein Eigenheim hier in Tuckers Bluff zu kaufen. Noch besser war es, sich ein Haus außerhalb der Stadtgrenzen ausgesucht zu haben. Das war nahe genug, um bei Bedarf schnell die Polizeistation zu erreichen, aber auch weit genug entfernt, dass die ruhigen Geräusche des Landlebens ihn wie ein Neugeborenes in den Armen seiner Mutter einschlafen ließen. Und wenn er ehrlich war, auch nahe genug am Farraday-Country, wo er des Öfteren zum wöchentlichen Sonntagsessen der Großfamilie eingeladen wurde. Das Marine Corps hatte ihn und D.J. zu Brüdern gemacht. Und Tante Eileen, Sean und die anderen Mitglieder des Clans hatten ihn in die Familie aufgenommen.
„Reed“, Esthers Stimme ertönte durch das Rauschen des Funkgeräts, „bist du schon auf dem Weg zurück?“
„Ten-Four“, bestätigte er.
„Ich habe gerade einen Anruf von Nadine Peabody erhalten. Sie sagt, dass in ihrem Garten ein Kojote ist, der ihre Katzen nervös macht.“
Reed kicherte vor sich hin. Nadine Peabody war ein ganz besonderer Charakter. Dem Bedürfnis einer einsamen alten Frau nach ein wenig menschlichem Kontakt und Gespräch nachzukommen, war wesentlich einfacher als die Dinge, denen er möglicherweise hätte nachgehen müssen, wenn er und D.J. noch bei der Polizei von Dallas wären. „Auf dem Weg.“
„Verstanden.“
Die Fahrt zu Nadine würde etwa dreißig Minuten dauern. Das Schwierige würde darin bestehen, in weniger als zwanzig Minuten wieder von dort zu entkommen, um rechtzeitig seine Schicht zu beenden. Sein Handy summte und er fragte sich, wer um diese Uhrzeit anrief. „Hallo.“
„Hey, Mann. Bist du irgendwo in der Nähe der Ranch?“, fragte D.J..
„Sorry. Bin schon daran vorbei. Was ist los?“
„Nicht viel. Jamison braucht Tante Eileens riesigen Corned-Beef-Topf und ich dachte, wenn ich dich erwische, spare ich mir die Fahrt.“
„Ich kann umdrehen, wenn du willst. Das Einzige, was noch aussteht, sind Nadine Peabody und ein Kojote, der herumschleicht.“ Er konnte fast hören, wie D.J. die Augen verdrehte. Der Kojote war höchstwahrscheinlich nur ein weiteres Produkt der Fantasie der kreativen und leicht paranoiden Frau. Sie lebte praktisch in der Tierklinik seines Bruders Brooks. Wenn es so etwas wie Katzen-Hypochondrie gab, dann hatte Nadine diese Krankheit. Obwohl die ganze Stadt wusste, dass das meiste davon nur das Bedürfnis nach Gesellschaft war.
„Ich sage dir was. Du holst den Topf und ich kümmere mich um Nadine.“
„Klingt nach einem Plan.“ Die aufgehende Sonne wurde von einem großen grauen Hügel mitten auf der Straße reflektiert.
„Was zum Teufel?“ Als Reed langsamer wurde, waren die jetzt zwei grauen Buckel deutlicher zu erkennen.
„Was ist los?“ D.J.s Stimme wurde besorgt leiser.
„Nicht sicher.“ Sein erster Gedanke wäre gewesen, dass Nadines Kojoten nach Westen getürmt waren, aber die beiden Straßensperren vor ihm waren für Kojoten etwas zu groß. Wahrscheinlicher war … „Sieht so aus, als ob Gray und seine Freundin einen Spaziergang machen.“
„Wie weit, sagtest du, bist du von der Ranch entfernt?“
„Vier, vielleicht fünf Meilen.“
„Seltsam“, murmelte D.J.. „Seit dem Tornado bleiben die beiden immer nahe bei Dad und Tante Eileen.“
„Nun, im Moment machen sie eine Besichtigungstour der Straße.“
„Besichtigung?“
„Sie stehen einfach da und starren mich an, als hätten sie die Auferstehung Christi gesehen.“ Da die Sonne höher am Himmel stand, schaltete er die Scheinwerfer aus und blieb nur wenige Meter von den Hundestatuen entfernt stehen.
„Bist du sicher, dass es unsere Hunde sind? Die Hunde?“ Die Ungläubigkeit in D.J.s Tonfall war nicht zu überhören. Dieser Kerl hatte Reed ein oder zwei Mal sein Leben anvertraut, aber jetzt glaubte D.J. offensichtlich, dass er sein Augenlicht verloren hatte.
„Ich sage dir … warte.“ Fast so, als wären sie überzeugt, dass sie Blickkontakt hergestellt hatten, wandten sich die beiden stillen Tiere von der Straße ab. „Sie sind in Bewegung.“
„Das klingt eher nach ihnen.“ Ein scharfes Geheul durchdrang die Stille des Landes. „Ist das Gray?“
„Es ist einer von ihnen.“ Die beiden waren auf der anderen Straßenseite stehengeblieben. Dieses Mal hob der andere Hund seine Schnauze in die Luft und stieß ein weiteres scharfes Heulen aus, bevor er sich umdrehte und erneut davonraste.
Kopfschüttelnd fuhr Reed langsam auf den Seitenstreifen und machte eine Wende, um zur Farraday-Ranch umzukehren. „Auf dem Weg zum Topf.“
Kaum war er auf der Gegenfahrbahn, tauchten die adoptierten Farraday-Hunde erneut vor ihm auf der Straße auf und stellten sich ihm wieder in den Weg. Wie zum Teufel hatten sie das gemacht? Ein weiteres Heulen. Ein eisiger Schauer huschte über seinen Rücken und sein Bauch sendete ein Alarmsignal aus. Irgendetwas stimmte nicht, und tief in seinem Inneren wusste er, dass es nichts Gutes war. „Ich könnte schwören, sie erwarten von mir, dass ich ihnen folge.“
D.J. zeigte keinerlei Anzeichen dafür, dass ihn das merkwürdige Verhalten beunruhigte, und kicherte ins Telefon. „Bei diesen beiden weiß man nie.“
Er wünschte, er könnte das Verhalten der Hunde genauso amüsant finden wie D.J.. „Ich halte an und schaue mir genauer an, was los ist.“ Kaum hatte er einen Fuß aus der Tür gesetzt, rannten die Tiere bellend von ihm weg und auf eine graue Nebelschwade zu, die den ansonsten strahlenden und makellosen Himmel durchzog. „Meine Güte!“
„Was?“ Aus D.J.s Stimme war jeglicher Humor verschwunden.
„Rauch.“
„Wie schlimm?“
„Esther soll besser Alarm schlagen. Nördlich der Hauptstraße, fünf Meilen östlich der Ranch. Der Topf muss warten. Ich bin auf dem Weg.“
„Ten-Four.“
Reeds Magen sackte nach unten. In dieser Richtung gibt es nur zwei Möglichkeiten. Einer der Bradys, der seinen kleinen Wohnsitz zwischen der Farraday-Ranch und der Stadt hatte. Und Chloe. Verdammt. Die freiwillige Feuerwehr des Countys war sicher schon auf dem Weg, aber so weit außerhalb der Stadt lag es am Rancher – oder der Witwe –, den Brand bis zu deren Eintreffen unter Kontrolle zu halten.
Noch nie zuvor hatte er so inständig darum gebetet, dass der Rauch möglicherweise nur von einem katastrophalen Buschfeuer stammte. Chloe brauchte das nicht. Die Hunde waren auf der Weide verschwunden, aber das machte keinen Unterschied, sie hatten ihn auf das Feuer aufmerksam gemacht. Er griff nach seinem Handy und wählte die Nummer der Farradays.
Innerhalb von Sekunden war Tante Eileen am anderen Ende.
„Östlich von euch ist Rauch“, sagte er hastig. „Wir könnten eure Wasserwagen gebrauchen.“
„Osten. Die Bradys?“
Er war weit genug gefahren, um die Quelle auszumachen. „Nicht so weit.“
„Chloe.“ Tante Eileens Worte trieften von der gleichen Besorgnis, die an seinen Nerven zerrte.
Das winzige Schindelhaus auf dem kleinen Grundstück mitten im Nirgendwo, war ein Schnäppchen für seinen Kumpel Pat gewesen. Sein kleines Stück Himmel. Verdammt.
„Ich werde Sean und Finn alarmieren. Und die Bradys. Wir sind gleich auf dem Weg.“
Der Anruf wurde unterbrochen, bevor er antworten konnte. Er hätte Tante Eileen im Marine Corps gebrauchen können.
Als er die torlose unbefestigte Auffahrt vor ihm erreichte, gab es keinen Zweifel mehr. Die grauen Schwaden wurden plötzlich dunkel und dicht. Reeds Magen drehte sich erneut um. Er trat aufs Gaspedal und flog wie Wylie Coyote, der den Roadrunner jagte, über die Schlaglöcher. Allerdings konnte er es sich nicht leisten, dieses Rennen zu verlieren.
* * * *
Was zum Teufel war das für ein Lärm? Chloe Landon öffnete ein Auge. Die Sonne schien kaum durch die Jalousien. Laut der Uhr an ihrem Bett blieb ihr noch mindestens eine Stunde, bis die Mädchen aufwachten. Mit ihren etwas über zwei Jahren hatte Sarah endlich gelernt, nicht mit den Hähnen aufzustehen. Nicht, dass sie Hähne hatte, aber heute Morgen hörte es sich an, als würde ein Schwarm dieser Wecker der Natur an ihrem Fenster kratzen.
Als sie die Decke zur Seite warf, durchbrach ein lautes Bellen die morgendliche Stille. Bevor ihr schlaftrunkenes Gehirn alle Möglichkeiten verarbeiten konnte oder ihre Füße den Boden berührten, erfüllte das Geräusch splitternden Glases die Luft.
„Was zum …“ Eine graue Kugel schoss auf sie zu. Die Angst stieg ihr in den Rücken. Ihr Arm fummelte bereits an der verschlossenen Schublade herum, wo sie die Waffe aufbewahrte, auf die Pat zu ihrem Schutz bestanden hatte. Nicht, dass ich erwarte, dass es hier Ärger gibt, hatte er gesagt, aber man kann sich nie ganz sicher sein.
Ein weiteres Bellen durchbohrte die Erinnerung und große, sehr scharfe und sehr spitze Zähne klammerten sich an den Ärmel der Hand, die immer noch an der verschlossenen Schublade herumfummelte. Ihr Herz sprang fast aus ihrer Brust, aber anstatt sie zum Frühstück zu verspeisen, zerrte das Tier sie aus dem Bett und auf den Boden.
„Chloe?“ Die ferne Stimme klang hektisch. „Chloe.“ Die Verzweiflung, die in der Stimme lag, war unverkennbar. Ebenso die Stimme selbst. Reed. Was zum Teufel machte er zu dieser Stunde in ihrem Haus?
Der Hund ließ ihren Arm los, rannte um sie herum und stieß sie von hinten an, sodass sie fast nach vorne stürzte. Eine andere Stimme, die Stimme eines weiteren Mannes, rief nach Reed. Ihr Mund öffnete sich, um zu schreien, doch stattdessen bellte der Hund, bevor er nach ihrem Nachthemd schnappte, um sie erneut nach vorne zu ziehen.
„Ihr Zimmer ist diesen Flur runter“, rief Reed. „Ich hole die Mädchen.“
Ihre Mädchen! Wie es schon ihr Mann getan hatte, so vertraute auch sie Reed ihr Leben an. Aber das alles ergab keinen Sinn. Sie manövrierte um den Hund herum, der fest entschlossen war, sie in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen, und rannte zu ihrer Tür, als sich das störrische Tier gegen sie drückte und sie zu den Glasscherben schubste, die vor ihrem Schlafzimmerfenster verstreut lagen.
„Chloe.“ Sean Farraday stürmte durch ihre Tür. „Du musst hier raus. Schnell.“
„Was ist los?“ Sie schlug erneut auf den Hund ein und griff nach ihrem Rock. Erst als die starken Hände des Farraday-Patriarchen ihre Taille packten und er sie über seine Schulter warf, roch sie den Rauch, der hinter ihm in ihr Zimmer zog. Rauch. Ihre Mädchen! Sie drückte mit aller Kraft gegen seine steinharte Brust und schlug auf den Mann ein. „Lass mich runter! Die Mädchen sind oben.“
Nie in ihrem Leben hätte sie gedacht, dass sie gegen einen so netten Mann wie Sean Farraday kämpfen müsste, der sie immer noch fest im Arm hielt und über das Glas sprintete.
„Reed macht das. Wir müssen dich rausbringen.“
Worte und Luft kämpften in ihrer Kehle. „Emmie, Sarah“, murmelte sie, als Sean sie mit dem Hintern voran aus dem Fenster und in wartende Arme schob.
Starke Arme umschlossen sie. „Je früher du aufhörst, mich zu treten, desto eher kann ich Reed mit den Mädchen helfen.“
Es dauerte einen Moment, um zu begreifen, dass sie nun mit der gleichen Kraft gegen Finn Farraday kämpfte, mit der sie zuvor auf seinen Vater eingeschlagen hatte.
„Ist außer den Mädchen noch jemand drinnen?“, fragte Finn.
Sie schüttelte den Kopf. Es kamen immer noch keine Worte. Sie musste wieder hinein. Nach oben. Zu ihren Mädchen!
„Die Treppe ist blockiert.“ Sean Farraday sprang praktisch aus dem Fenster und rannte, ohne seinen Schritt zu verlangsamen, um ihr Haus herum.
„Chloe, du musst mir versprechen, hier zu bleiben.“ Finn schien völlig hin- und hergerissen zu sein, ob er sie festhalten oder seinem Vater hinterherlaufen sollte. „Wir brauchen Wasser und ich kann nicht beides tun.“
Ihr Blick wanderte zu dem riesigen Pickup mit dem riesigen Wassertank auf der Ladefläche, bevor sie den entscheidenden Fehler machte, nach oben zu schauen. Orangefarbene Flammen schossen durch das Dach. Ihr Haus – ihre Mädchen – standen in Flammen.
* * * *
Als Reed das Innere von Chloes Haus erreichte, hatten die Flammen bereits das Wohnzimmer verschluckt und ihm wertvolle Zeit geraubt. Er konnte auf keinen Fall an zwei Enden des Hauses gleichzeitig sein, und er wollte sich auf keinen Fall zwischen der Rettung von Chloe oder der ihrer Töchter entscheiden. Noch nie war er so dankbar gewesen, Sean Farraday durch eine Tür stürmen zu sehen.
Zuversichtlich, dass Chloe beim Patriarchen der Farradays in Sicherheit sein würde, raste er die Treppe nach oben. Die Hitze in seinem Rücken war sengend und das Holtz unter seinen Füßen gab nach wie ein Schwamm. Er zog sein Hemd aus der Hose und bedeckte mit dem Saum seinen Mund. Er musste zu den Mädchen gelangen. Er musste sie retten. Er konnte nur hoffen, dass schnell weitere Hilfe auf dem Weg war, denn er zweifelte nicht daran, dass er die beiden Mädchen nicht auf dem gleichen Weg aus dem Haus schaffen konnte, durch den er hereingekommen war.
Je näher er dem anderen Ende des Flurs im zweiten Stock kam, desto schwieriger wurde es, vorwärtszukommen. Der Rauch war dick und schwarz geworden, und er tastete sich den Flur entlang, zählte die Türen und dankte Gott dafür, dass er noch keine Hitze brennender Flammen durch die Wände spürte. Obwohl er selten einen Grund gehabt hatte, nach oben zu gehen, erinnerte er sich daran, dass es im zweiten Stock vier Zimmer gab. Zwei Schlafzimmer, Chloes geliebtes Ankleidezimmer, wegen dem sie vor Freude fast in Ohnmacht gefallen wäre, als Pat ihr das Haus zum ersten Mal gezeigt hatte, und noch ein Badezimmer. Nur noch eine Tür.
Die Hitze von unten drang durch den Boden. Seine Füße hätten genauso gut brennen können. Vielleicht taten sie das auch. Keine Zeit zum Nachdenken. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Er durfte Chloe nicht im Stich lassen.
Während der wenigen kurzen Schritte zur endlich letzten Tür machte sich Reed nicht die Mühe, nach Hitze zu fühlen. Was auch immer auf der anderen Seite war, dort waren auch Emmie und Sarah. Seine Handfläche brannte, als er den Knauf drehte, die Tür aufstieß und sie hinter sich zuschlug. Nichts. Er konnte überhaupt nichts sehen. Auf allen Vieren schrie er nach den Mädchen. Der dichte Rauch bracht ihn zum Husten. Nichts.
„Emmie!“, würgte er heraus. Schweigen. Verdammt.
Das krachende Geräusch von zerbrechendem Glas zerschmetterte die Angst, die ihn zu überkommen drohte. Das musste seine Rettung sein. Wasser strömte herein. Hilfe war eingetroffen. Wenn sie wussten, welches Zimmer sie löschen sollten, dann musste Chloe ihnen gesagt haben, welches das Zimmer der Mädchen war. Chloe musste in Ordnung sein. Doch der Moment der Erleichterung verging zu schnell, um ihn zu genießen. Die Mädchen.
Ohne das Wasser, das durch das Fenster strömte, hätte er nicht gewusst, wo im Raum er war. „Emmie!“, rief er erneut. Diesmal glaubte er, ein leises Geräusch gehört zu haben. Er huschte zum Fenster und zu dem Einzelbett und tastete es mit den Händen ab. Leer. Es wäre wahrscheinlich zu viel zu hoffen, dass eine Fünf- und eine Zweijährige sich unter dem Bett versteckt hätten.
Noch ein Bett. Es gab ein weiteres Bett im Zimmer, aber es waren keine weiteren Geräusche zu hören.
„Reed!“ Connor Farraday rief ihm vom Fenster aus zu. „Hast du die Mädchen?“
„Nein!“
„Verdammt“, murmelte Connor. „Ich komme rein.“
„Warte“, rief Reed zurück. Sein Knie war auf einer harten Oberfläche aufgeschlagen. Das Fußteil des zweiten Bettes. Als er die gleiche Suchbewegung wie beim anderen Bett wiederholte, machte Reeds Herz einen Satz. Unter der Bettdecke lag ein riesiger Klumpen. Er betete zu Gott, dass darunter zwei kleine Mädchen saubere Luft atmeten. „Emmie!“
Eine leise Stimme drang aus einer Öffnung oben in den Laken. „Onkel Reed?“
Emmie. „Ja, Schatz. Ist Sarah bei dir?“
Er war sich nicht ganz sicher, aber er vertraute darauf, dass Emmie ihm gerade zugenickt hatte.
Der Rauch war so dicht, dass er kaum seine Hände vor dem eigenen Gesicht sehen konnte. Als er an Emmie zog, sie geschützt von der Decke über seine Schulter legte, spürte er ein Ziehen neben ihr. „Ja! Hier drüben!“, rief er Connor zu.
Der Raum war kaum groß genug für zwei Betten und eine Kommode, aber seine Stimme war das Einzige, was Connor den Weg weisen konnte.
„Die Jungs geben ihr Bestes“, Connor streckte die Arme aus, „aber wir müssen uns beeilen. Das Holz gibt nach.“
Reed reichte seinem Freund das ältere der beiden Mädchen, nickte und zog dann Sarah eng an sich. Eine einzelne dünne Decke bedeckte sie. Der einzige Schutz, den er für das kleine Kind hatte. Das Fenster war nur noch einen Schritt entfernt. Connors Kopf verschwand auf der gegenüberliegenden Seite des fehlenden Glases und der Schraubstock, der sein Herz zusammendrückte, lockerte seinen Griff ein wenig nach. Noch ein paar Augenblicke und beide von Chloes Mädchen wären in Sicherheit. Der Lärm der Aufregung draußen drang zu ihm hinauf. Chloes Stimme schrie verzweifelt nach ihrem Kind, als Connor mit Emmie den Boden erreichte.
Unter seinen Füßen knarzten die Dielen, ein Brüllen drang an seine Ohren und er wusste es. Die Zeit war gerade abgelaufen. Der darauffolgende Knall sprengte die Tür aus den Angeln und die verzehrenden Flammen brachen ins Innere und jagten sie wie Höllenhunde. Der Himmel möge ihm beistehen. Er hatte keine Wahl. Als er den letzten Schritt vorwärts tat, brachte er nur noch ein Wort heraus. „Fang!“