Morgan Liebesbeweis
Kapitel Eins
„Ich gehe mit und erhöhe um zwei.“ Eileen Farraday warf ihre Chips auf den Tisch. Weitere Chips landeten klappernd im Pot. Ihre Karten waren schon den ganzen Morgen über heiß gewesen. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Aus Angst, ihr Glück könnte schwinden, erlaubte sie sich nicht einmal, zur Damentoilette zu rennen. Grandma Siobaughn hatte immer gesagt: Wenn du gesegnet bist, ändere nichts. Aber dieser kleine Spruch war nicht in Stein gemeißelt. Ihre gesegnete Großmutter war nämlich auch dafür bekannt, beim Kartenspielen aufzustehen und herumzulaufen, um ihr Glück zum Besseren zu wenden.
„Royal Flush.“ Mit einem breiten Grinsen breitete Ruth Ann ihre Karten aus und wartete triumphierend darauf, dass die anderen ihre Karten zeigten.
„Mist.“ Sally May schlug ihre Karten auf den Tisch. „Ich dachte, du bluffst.“
Eileen war ebenfalls darauf hereingefallen. Wer hätte gedacht, dass Ruth Ann eine der wenigen Hände haben würde, die ihren Vierling schlagen könnte?
„Oh mein Gott.“ Dorothy, eines der Gründungsmitglieder des Tuckers-Bluff-Ladies-Club, zeigte mit ihren Karten auf die Tür.
Groß, schlank, mit einer Sonnenbrille, die fast so groß war wie ihr Gesicht, und einem Hut, der an einen glamourösen Star aus einem Film aus den Fünfzigern erinnerte, stand eine Frau in der Tür des Cafés und ließ ihren Blick diskret durch den Raum schweifen.
Die gut gekleidete Blondine erinnerte Eileen an ihre Nichte Meg an dem Tag, als sie nach Tuckers Bluff gekommen war. Zu hübsch und zu aufgebrezelt, um irgendwo aus dieser Gegend zu kommen. „Ich frage mich, wer sie ist.“
„Neue Lehrerin?“, schlug Abbie vor, während sie ihre Kaffeekaraffe hochhielt und jede der Frauen mit hochgezogenen Brauen anblickte, stumm fragend, ob sie mehr möchten oder nicht. „Ich habe gehört, dass sie in den nächsten Tagen in der Stadt eintreffen sollte. Und in Megs Bed-and-Breakfast übernachten wird, bis sie eine feste Wohnung findet.“
„Wenn sie die neue Grundschullehrerin ist, habe ich dieses Jahr meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.“ Sally May warf Abbie einen Blick zu. „Keine Frau, die täglich mit kleinen Kindern arbeitet, würde so gekleidet hier auftauchen, als wäre sie vom Cover eines Pariser Modemagazins gefallen. Nicht einmal, wenn wir in Paris wären.“
„Und schon gar nicht im staubigen Viehland von West-Texas.“ Dorothy nickte. „Beim ersten Anzeichen von klebrigen Fingern oder einem klecksenden Magic Marker würde diese Frau nach Hause rennen.“
„Nun, es sieht so aus, als würden wir es gleich herausfinden.“ Eileen deutete mit dem Kopf auf ihre Nichte Joanna, die durch die Tür kam und den Neuankömmling begrüßte. Alles, was Eileen brauchte, war Zeit, um eine Portion ihrer Kürbis-Brownies zuzubereiten, und fünf Minuten allein mit Finns Frau, und schon hätte sie die ganze Geschichte, einschließlich der Blutgruppe der Fremden. Ja. Neugier war nicht dieser Katze Tod.
„Nun, was haben wir denn hier.“ Dorothy blickte zum Seitenfenster. „Vielleicht solltest du dir das ansehen, Eileen.“
Weil sie wissen wollte, was Dorothy entdeckt hatte, wandte sie ihren Blick von den beiden Frauen ab, die noch immer an der Tür standen, und schaute aus dem Seitenfenster. Gray, der wunderschöne Wolfsmischling, der jetzt auf der Ranch lebte, saß den Kopf zur Seite geneigt am Rand des Parkplatzes und blinzelte sie an. „Was zum Teufel macht er den ganzen Weg hier draußen?“
„Vielleicht hat er sich auf der Ladefläche deines Trucks versteckt“, schlug Ruth Ann vor.
„Vielleicht.“ Ihr Gesicht verzog sich nachdenklich. „Aber das glaube ich nicht.“
„Du willst doch nicht sagen, dass Gray wieder zu seinen alten Tricks greift?“, entgegnete Sally May leise.
Alle vier Köpfe wandten sich der großen Blondine zu.
„Vielleicht.“ Eileen musterte den Neuankömmling aufmerksam. Aber für wen?
* * * *
Morgan Farraday beobachtete aufmerksam, wie Meg auf die zwei Holzbalken starrte, die bis gestern die Rückwand des kleinen Familienwohnzimmers gebildet hatten. Den heutigen Vormittag hatte er damit verbracht, die Rigipsplatten und den Putz von dem einzigen Hindernis zu reißen, das zwischen dem neuen Wintergarten und dem stand, was bald eine vergrößerte Wohnung für ihre und Adams wachsende Familie sein würde.
„Wow, einfach wow.“ Meg wirbelte herum und schlang ihre Arme um seinen Hals, küsste seine Wange und hüpfte praktisch von ihm weg, um erneut auf den größtenteils offenen Raum zu starren. „Das wird großartig.“
„Es ist deine Vision.“ Morgan lächelte die Frau seines Cousins an. Meg war eine kluge und kompetente Geschäftsfrau, die zufällig eine unglaublich nette Lady war – und das perfekte Gegenstück zu seinem Cousin Adam. Der entzückte Ausdruck und das Grinsen, das sich von einer Seite ihres Gesichts zur anderen erstreckte, waren die beste Bestätigung für einen gut ausgeführten Plan. Er liebte es, Menschen glücklich zu machen und die Renovierungsträume eines Hausbesitzers wahr werden zu lassen. Umso besser, wenn der Hausbesitzer zur Familie gehörte. „Jetzt hast du genügend Platz für alle Sachen von Fiona.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Wer hätte gedacht, dass ein so kleines Ding so viel … Zeug brauchen würde.“ Sie kicherte und blickte weiterhin auf den neuen offenen Raum, anstatt sich zu ihm zu drehen. „Wann werden die Träger entfernt?“
„Jetzt.“
„Wirklich?“ Aufgeregt drehte sie sich wieder um und lächelte noch strahlender als im Moment zuvor.
„Der neue Stützbalken steht bereits, also brauchen wir die nicht mehr. Willst du helfen?“
„Bist du sicher?“
Er unterdrückte ein Lachen, zog seinen Hammer aus der Metallgürtelschlaufe und streckte grinsend seinen Arm aus. Im Handumdrehen waren die Balken verschwunden und Meg stand stolz da und bewunderte den wirklich geräumigen Raum. Kaum war die Tat vollbracht, waren hinter ihnen schwere Schritte zu hören.
„Hat dir schonmal jemand gesagt, wie sexy du mit einem Schutzhelm aussiehst?“
„Nicht das ich wüsste.“ Morgan lachte seinen Cousin Adam an, der seine Frau anstarrte, als wären sie gerade erst frisch verheiratet. Was war es nur mit der jungen Liebe und dieser Seite der Familie? Bei diesen beiden sah es so einfach aus, verliebt zu sein. Er hatte vor langer Zeit gelernt, dass Ambitionen und Chaos irgendwann siegten und dass das Leben – sein Leben – allein viel einfacher war.
Meg verdrehte die Augen, nahm ihren Helm ab und reichte ihn Morgan. „Danke. Das hat Spaß gemacht.“
Spaß? Das musste eine Premiere sein. Er kannte nicht viele Frauen, die Spaß an Abrissarbeiten hatten. Wäre es ein anderer Ort und eine andere Zeit, hätte Morgan sich gefragt, ob Meg eine ledige Schwester hatte. Auch wenn das boomende Baugewerbe, das ihn durch seinen ganzen Staat zog und wie jetzt sogar nach West-Texas, Zeit für eine Frau in seinem Leben lassen würde, hatte er seine Lektion gelernt. Täusche mich einmal, Schande über dich. Täusche mich zweimal, Schande über mich. Solch besondere Frauen wie Meg liefen einem nicht täglich über den Weg. Nicht ohne Haken. Komplizierte Haken.
Adam näherte sich seiner Frau, legte seinen Arm um ihre Taille, zog sie an sich und küsste sie sanft auf die Lippen. „Im Ernst, du siehst großartig aus und das Zimmer auch.“
Megs Augen funkelten ihren Mann an.
Der einfache Austausch von Liebe und Zuneigung fühlte sich seltsam persönlich an. Morgan richtete seinen Blick auf die umgestürzten Pfosten und untersuchte sie kurz, bevor er es wagte, seine Aufmerksamkeit wieder seinem Cousin und der jetzt fehlenden Wand zuzuwenden.
Meg tätschelte den Arm ihres Mannes und drehte sich zu Morgan um. „Ich bin so froh, dass du deckenhohe Fenster anstelle von typischen Rahmenfenstern vorgeschlagen hast.“
Ihre überschäumende Begeisterung schob sein Unbehagen beiseite und erinnerte ihn noch einmal daran, warum er froh war, hier zu sein. „Als du erwähnt hast, wie wichtig Licht für dich ist, war das eine Selbstverständlichkeit.“
„Sieht gut aus.“ Sein Bruder Ryan kam aus dem Flur. „Bald musst du Fiona nicht mehr den ganzen Weg zu Onkel Sean und Tante Eileen schleppen, um dem Baulärm zu entgehen.“
Meg wand sich auf der Stelle. „Ich bin mir nicht sicher, ob das Tante Eileen gefallen wird, selbst wenn sie Fiona heute Becky für eine Weile überlassen musste, damit sie das Kartenspiel nicht verpasst.“
Ryan schüttelte den Kopf. „Tante Eileen spielt wirklich Poker in einem Café?“
„Gewissenhaft.“ Adam kicherte.
„Nun“, Ryan zuckte mit den Schultern, lächelte und schüttelte den Kopf, „nur noch ein paar Tage und wir gehen euch nicht mehr auf die Nerven.“
Die lockere Stimmung, die den Raum erfüllt hatte, wurde ernster. Seit Morgan letztes Weihnachten die Brandsanierung in Chloes Haus durchgeführt hatte, suchte er ständig nach einem guten Grund, mehr als ein Wochenende in Tuckers Bluff zu verbringen. Als Adam sich an ihn wandte und ihm erklärte, dass sie nicht aus dem Bed-and-Breakfast ausziehen wollten, obwohl sie etwas mehr Platz brauchten, nutzten Morgan und sein Bruder die Chance, sich auf der Ranch eine Zeit lang bei diesem Teil der Farradays einzuquartieren. Vielleicht hätten er und Ryan nicht so hart und schnell arbeiten sollen.
Meg verzog das Gesicht. „Ich möchte euch wissen lassen, dass wir euch beide sehr gerne um uns haben. Außerdem, ich bin mir nicht so sicher, ob es Tante Eileen gefallen wird, wenn sie nicht jeden Tag ihr Baby bekommt, aber sie hat erwähnt, dass sie das große Bad auf der Ranch erneuern möchte. Sie sagt, es sei Zeit für eine ebenerdige Dusche.“
„Tatsächlich“, Adam zeigte mit dem Finger auf ihn, „sind Brooks und Allison fast so weit, um mit der nächsten Phase des Krankenhauses zu beginnen.“
Ryan kicherte. „Ihr versucht doch nicht, uns in Texas festzuhalten, oder?“
„Natürlich nicht“, wiederholten Adam und Meg schnell.
Adam trat einen Schritt vor und nickte von einem Bruder zum anderen. „Es war wirklich schön, euch wieder hier zu haben.“ Zweifellos dachte Adam an all die verlorenen Jahre zwischen den beiden Farraday-Clans. Ähnliche Gedanken und Gefühle gingen auch ihm durch den Kopf, da er es so einfach fand, mit seinen Cousins genau dort weiterzumachen, wo sie als Teenager aufgehört hatten.
„Seht uns nicht so an.“ Ryan schüttelte den Kopf. „Es war wirklich toll, den Kontakt wieder aufzufrischen. Wir kommen wieder öfter vorbei, versprochen. Dennoch werde ich das nagende Gefühl nicht los, dass es weniger eine Frage von Angebot und Nachfrage ist, uns hierher zu holen, um zu helfen, als vielmehr Teil eines meisterhaften Plans von Tante Eileen, die einzigen verbliebenen Farraday-Junggesellen zu verheiraten.“
Adam hustete und Meg schlug ihm leicht gegen den Arm.
„Was?“ Adam zuckte mit den Schultern, als er seine Frau ansah. „Der Mann könnte recht haben.“
Lächelnd schüttelte Ryan heftiger den Kopf. „Ich bin froh, dass alle verheirateten Farradays so glücklich sind. Das bin ich wirklich, aber zufällig bin ich gerne Single. Ich kann gehen, wohin ich will, wann ich will. Was mich daran erinnert.“ Er wandte sich an Morgan. „Owen und Pax gehen dieses Wochenende mit ein paar Jungs auf die Jagd. Glaubst du, dass du den Rest hier ohne mich zu Ende bringen kannst?“
Mit verschränkten Armen nickte Morgan. Er war nicht so darauf bedacht wie Ryan, nach Hause zu eilen. Das Leben war gut zu ihm gewesen. Sehr gut. In den letzten Jahren hatte er nicht ein einziges Mal gedacht, dass in seinem Leben etwas fehlte. Bis er nach Tuckers Bluff zurückgekehrt war. Und auch wenn er sich nicht für die subversiven Partnervermittlungspläne interessierte, die seine Tante vielleicht im Sinn hatte, gefiel ihm die Idee, so lange wie möglich hier zu bleiben.
„Hallöle“, rief Becky.
Das alte Sprichwort über das laute Klappern kleiner Füße war absolut wahr. Morgan drehte sich um, als die weibliche Stimme von unten rief, und konnte auch schon die kleinen Schritte hören, die über die Holzböden tapsten und zweifellos auf dem Weg zur Treppe waren.
„Erwischt.“ D.J.s Stimme drang die Treppe hinauf, gefolgt vom Kichern ihrer Tochter Katie, offiziell Caitlin Helen Farraday.
Alle Erwachsenen im dritten Stock gingen nach unten. Meg war die erste Person, die das Erdgeschoss erreichte, und holte ihr kleines Mädchen aus den Armen ihrer Schwägerin. Fiona und Katie, die nur ein paar Monate auseinanderlagen, verstanden sich wie eineiige Zwillinge. Es war ein Riesenspaß, den beiden dabei zuzusehen, wie sie Seite an Seite die Welt um sie herum erkundeten. Mehr Spaß, als er noch vor ein paar Monaten gedacht hätte.
„Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, ein Gitter im ersten Stock anzubringen, auch wenn es für die Gäste etwas umständlich ist.“ Adam schüttelte den Kopf, als seine Nichte ihr Bestes tat, um sich aus den Armen ihres Vaters zu befreien.
„Tut es nicht wegen Katie. Wir sind nicht oft genug hier und bevor ihr euch verseht, rennt sie wie eine olympische Athletin ohne Aufsicht die Treppe hinauf.“ D.J. setzte sein Mädchen ab, den Arm bereit, bei Bedarf zuzuschnappen, um den geölten Blitz wieder einzufangen.
Morgan erwartete, dass sie wieder direkt auf die untere Stufe zusteuern würde, und war überrascht, als Katie stattdessen in seine Richtung stürzte und ihre Arme nach ihm warf.
„Na, hallo.“ Nach ein paar Wochen mit einem Haufen Kleinkindern hatte sich Morgan mit der Routine ziemlich vertraut gemacht. Zuerst spielte er Wessen Bauch ist das und kitzelte ihren Bauch, dann spielten sie Flugzeug, bei dem er sie über seinen Kopf hielt und sie hin und her bewegte, bis sie so laut kicherte, dass jeder im Raum mitlachen musste.
Während D.J.s kleine Caitlin die Abenteuerlustige war, war Adams Fiona die Kuschlerin. Sie war immer froh, ihren Kopf an die Schulter von jemandem zu legen und einfach nur die Menschen um sie herum zu beobachten und von ihnen zu lernen, besonders ihrer Cousine. Wie jetzt. Irgendwann gab sie ihrer Neugier nach und wandte sich an Onkel Morgan.
„Das machst du für einen Junggesellen wirklich gut.“ Beckys funkelnde Augen blieben auf ihre Tochter gerichtet, während Morgan sie hoch über seinem Kopf hielt.
„Ich lerne schnell.“ Er zog Katie an sich und rieb ihren Bauch mit seinem Kopf. Ihr Kichern brachte ihn und alle anderen Erwachsenen ebenfalls zum Lachen.
Seine Cousins hatten tatsächlich den Hauptpreis des Lebens gewonnen. Morgan war schon immer von seiner Familie umgeben gewesen. Er und seine Brüder standen sich sehr nahe. Damit war er zufrieden gewesen, aber jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass er etwas ganz Besonderes verpasste. Natürlich hatte er sich nach dem College genauso gefühlt, als er einen Ring für Carolyn gekauft hatte. Und alle wussten, wie gut das ausgegangen war.
* * * *
Der Hut war definitiv übertrieben. Andererseits war die heiße Sonne von Texas das ebenfalls. Als blondes Kind mit lilienweißer Haut, das an den Stränden Südkaliforniens aufwuchs, hatte Valerie Moore nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass die Sonne definitiv nicht auf ihrer Seite war. Übertreibung hin oder her, Hüte waren ihre Freunde.
„Valerie?“ Eine zierliche, dunkelhaarige Frau mit einem Lächeln, so strahlend wie die Sonne von Texas, blickte zu ihr auf.
„Joanna?“
Die Frau streckte ihre Hand aus. „Willkommen in Tuckers Bluff.“
„Danke.“ So weit, so gut. Joanna war persönlich genauso angenehm wie am Telefon.
Eine Kellnerin schlich sich mit einem ebenso strahlenden Grinsen an Joanna heran. Da sie aus Kalifornien kam, waren freundlich lächelnde Menschen nichts Ungewöhnliches, aber diese Leute sahen alle wie Grinsekatzen aus. Vielleicht lag es an der Hitze.
„Nun, das ist eine schöne Überraschung.“ Die Kellnerin umarmte sie kurz.
„Hey.“ Jo erwiderte die vertraute Umarmung, drehte sich um und winkte Val zu. „Valerie, das ist meine Cousine Abbie.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Abbie nickte.
„Ist mir ein Vergnügen“, antwortete sie und versuchte, ihrem eigenen Lächeln etwas Schwung zu verleihen.
„Da ich in der Stadt bin, dachte ich, ich könnte später mal vorbeischauen und Brendan besuchen – und natürlich auch Jamie.“
„Natürlich.“ Die Frau lachte. „Wenn du kommst, schau unbedingt nach, ob er zu Hause ist oder das Baby ins Pub mitgenommen hat, obwohl es für Jamie schwieriger ist, zu arbeiten, seit Brendan krabbelt.“
Baby? Ins Pub? Vals Blick wanderte von einer Frau zur anderen. Sicherlich musste es einen guten Grund für ein Baby in einem Pub geben. Auf die Schnelle fiel ihr nichts ein, aber sie kam zu dem Schluss, dass es ein verrückter Grund sein musste, und fragte sich dann, ob er sogar verrückt genug war, um das Ganze in eine Sitcom zu verwandeln. Sie schüttelte im Geiste den Kopf und holte tief Luft. Niemand mochte eine verzweifelte Produzentin. Schade, denn die möglichen Eskapaden drehten sich in ihrem Kopf bereits wie eine Filmrolle im Zeitraffer.
„Alles okay?“, fragte Joanna sie.
„Was? Ja. Warum?“
„Du schüttelst den Kopf.“
„Oh.“ Val lachte. Ihre Mimik und Gestik hatten ihre Gedanken schon ein paarmal zu oft verraten. „Tut mir leid, ich habe etwas gegrübelt.“
„Ah.“ Joanna ließ wieder dieses blendende Texas-Lächeln aufblitzen.
„Tisch oder Nische?“ Abbie schnappte sich eine einzelne Speisekarte.
„Nische. Hinten.“
„Gut.“ Joannas Cousine nickte, führte sie zu einer Ecknische mit etwas Abstand zum nächsten Tisch und reichte Val eine Speisekarte. „Es sollte noch etwa eine Stunde lang nicht überfüllt sein.“
„Danke.“
Kaum hatte sie ihr Getränk bestellt und erkannt, dass Joanna und fast alle anderen in der Stadt keine Speisekarte brauchten, klingelte ihr Telefon und Aufregung schoss durch ihren Körper. „Da muss ich rangehen. Entschuldigst du mich?“
„Natürlich.“
Auf der Suche nach Privatsphäre schlängelte sie sich durch die Tische in den hinteren Flur, kam an einer freistehenden Leiter vorbei und überlegte kurz, wer mitten in einem Flur eine Leiter zurückließ. Sie hielt ihr Telefon ans Ohr und überlegte, ob sie sich in die Damentoilette zurückziehen sollte. Doch bei ihrem Glück, war jede Kabine besetzt und es würde im ganzen Raum laut hallen, wenn alle Besucher gleichzeitig spülten. Sie drehte dem Essbereich den Rücken zu, steckte einen Finger in ihr anderes Ohr und vergrub ihr Gesicht in der dunklen Ecke. „Was haben sie gesagt?“
Marilyn, ihre beste Freundin seit dem ersten Jahr an der UCLA und Drehbuchautorin einer der heißesten Serienadaptionen im Kabelfernsehen, hatte ihre Verbindungen genutzt, um Vals letzte Idee anzupreisen. Sie hatte gehofft, dass ihre Bemühungen mit einem Insider an ihrer Seite vielleicht Früchte tragen würden. „Nein.“
Mist. Davor hatte sie Angst gehabt. Ihre Stirn schlug gegen die harte Wand. Drei Serien vorgeschlagen, drei Serien abgelehnt. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, sie war von ihrem letzten Projekt auch nicht besonders begeistert gewesen, aber der Ausstieg aus dem Reality-TV-Business war ihre beste Chance auf das Voranbringen ihrer Karriere. Schade, dass das sonst niemand so sah.
„Bist du noch da?“
„Ja.“
„Entschuldigung. Der Wechsel in dieser Branche ist nicht einfach.“
Gott, wenn sie das nicht wusste. Sie hatte gehofft, Joanna davon überzeugen zu können, ihr die Serienrechte an ihrem neuen Buch zu übertragen. Doch nach diesem erneuten Rückschlag stellte sich die Frage, ob es überhaupt eine Rolle spielte, wie gut die Geschichte war, die sie daraus machen könnte, wenn man sie lediglich als Reality-TV-Autorin wahrnahm.
„Sie wären interessiert, wenn du ein frisches Konzept für eine neue Hausrenovierungsshow entwickeln würdest.“
Und erneut, war nicht genau das das Problem? Auf wie viele Arten könnte ein Produzent alte Häuser noch renovieren?
„Die Umbaushow mit all diesen Retro-Stars war ein Hit. Vielleicht sollten wir so etwas versuchen?“
„Das wäre aber nichts Neues, oder?“
„Das ist Hollywood. Improvisiere.“
„Leichter gesagt als getan.“ Wenn sie nur bei ihrem schwindenden Kontostand improvisieren könnte. Sie hob den Kopf und atmete langsam aus. „Ich bin beim Mittagessen. Lass uns später reden.“
„Hört sich gut an. Ruf an, wenn du zurück in LA bist.“
„Wird erledigt.“ Sie kniff die Augen zusammen und sprach ein stilles Gebet. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Joanna Farradays Buch die Antwort auf all ihre Probleme enthielt.
Mit geöffneten Augen wirbelte sie herum, überrascht von dem blendenden Lichtstrahl, der aus einem entfernten Fenster fiel. Sie machte einen kurzen Schritt, blinzelte und machte noch einen, bevor ihr Zeh mit etwas Hartem in Berührung kam. Ihr Blick fiel auf den Boden und sie versuchte immer noch zu erkennen, was sich direkt vor ihr befand. Wer hatte die Leiter bewegt?
„Sorry.“ Die Stimme war tief und sehr männlich.
Ihr Blick hob sich. „Kein Problem …“ Die Worte versiegten in ihrem Mund. Auf der einstmals leeren Leiter, tauchten, direkt in ihrem Blickfeld, in Jeans gekleidete, perfekt gerundete stählerne Pobacken auf. Ein muskulöses Bein stieg eine Stufe hinab, was den Jeansstoff enger um diesen stählernen Po zog. Hätte sie auch nur einen Tropfen Speichel im Mund gehabt, hätte sie gesabbert.
„Entschuldigung“, brummte er.
Langsam fiel ihr Blick auf seine Lederstiefel, dann zurück auf das wohlgeformte Gesäß und hinauf zu einer Gürtelschnalle in der Größe des ganzen Staats Texas.
„Ich muss runter.“
Runter? Wieder einmal wanderte ihre Konzentration auf und ab, bevor ihr Gehirn schließlich begann, auf Hochtouren zu laufen, als ihr klar wurde, dass sie ihm im Weg stand. Sie trat einen Schritt zurück und ihr Mund verband sich mit ihrem Gehirn. „Es tut mir leid. Ich habe Sie nicht hereinkommen hören.“
„Sie waren am Telefon. Es schien wichtig, aber ich hatte nur ein paar Minuten und habe Abbie versprochen, einen Blick auf das Licht zu werfen.“
„Ja.“ Die einzelne Silbe war nicht ganz die passende Antwort, aber der fast hypnotische Klang seiner Stimme hatte sie erneut aus der Bahn geworfen. Zusammenhängende Sätze zu bilden, war einfach nicht möglich.
Als er schließlich auf dem Boden war, steckte er einen Schraubenzieher in eine Tasche, die an seiner Hüfte hing. So wie er die Hand an seine Stirn hob, glaubte sie fast, er wollte seinen nichtexistierenden Hut antippen. „Danke. Einen schönen Tag noch.“
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sie blickte in tiefblau funkelnde Augen und zum zweiten Mal in nur wenigen Augenblicken wurde ihr Mund ganz trocken. Irgendwie schaffte sie es Dir auch zu murmeln, während er die Leiter zusammenklappte, sie hochhob und sich umdrehte, um wegzugehen. Der Schraubenzieher, und wer weiß was sonst noch, klimperte bei jedem seiner Schritte. Kein Wunder, dass der Sender eine Renovierungsshow wollte. Diesem Mann könnte sie jeden Tag bei der Arbeit zusehen.
„Ich gehe mit und erhöhe um zwei.“ Eileen Farraday warf ihre Chips auf den Tisch. Weitere Chips landeten klappernd im Pot. Ihre Karten waren schon den ganzen Morgen über heiß gewesen. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Aus Angst, ihr Glück könnte schwinden, erlaubte sie sich nicht einmal, zur Damentoilette zu rennen. Grandma Siobaughn hatte immer gesagt: Wenn du gesegnet bist, ändere nichts. Aber dieser kleine Spruch war nicht in Stein gemeißelt. Ihre gesegnete Großmutter war nämlich auch dafür bekannt, beim Kartenspielen aufzustehen und herumzulaufen, um ihr Glück zum Besseren zu wenden.
„Royal Flush.“ Mit einem breiten Grinsen breitete Ruth Ann ihre Karten aus und wartete triumphierend darauf, dass die anderen ihre Karten zeigten.
„Mist.“ Sally May schlug ihre Karten auf den Tisch. „Ich dachte, du bluffst.“
Eileen war ebenfalls darauf hereingefallen. Wer hätte gedacht, dass Ruth Ann eine der wenigen Hände haben würde, die ihren Vierling schlagen könnte?
„Oh mein Gott.“ Dorothy, eines der Gründungsmitglieder des Tuckers-Bluff-Ladies-Club, zeigte mit ihren Karten auf die Tür.
Groß, schlank, mit einer Sonnenbrille, die fast so groß war wie ihr Gesicht, und einem Hut, der an einen glamourösen Star aus einem Film aus den Fünfzigern erinnerte, stand eine Frau in der Tür des Cafés und ließ ihren Blick diskret durch den Raum schweifen.
Die gut gekleidete Blondine erinnerte Eileen an ihre Nichte Meg an dem Tag, als sie nach Tuckers Bluff gekommen war. Zu hübsch und zu aufgebrezelt, um irgendwo aus dieser Gegend zu kommen. „Ich frage mich, wer sie ist.“
„Neue Lehrerin?“, schlug Abbie vor, während sie ihre Kaffeekaraffe hochhielt und jede der Frauen mit hochgezogenen Brauen anblickte, stumm fragend, ob sie mehr möchten oder nicht. „Ich habe gehört, dass sie in den nächsten Tagen in der Stadt eintreffen sollte. Und in Megs Bed-and-Breakfast übernachten wird, bis sie eine feste Wohnung findet.“
„Wenn sie die neue Grundschullehrerin ist, habe ich dieses Jahr meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.“ Sally May warf Abbie einen Blick zu. „Keine Frau, die täglich mit kleinen Kindern arbeitet, würde so gekleidet hier auftauchen, als wäre sie vom Cover eines Pariser Modemagazins gefallen. Nicht einmal, wenn wir in Paris wären.“
„Und schon gar nicht im staubigen Viehland von West-Texas.“ Dorothy nickte. „Beim ersten Anzeichen von klebrigen Fingern oder einem klecksenden Magic Marker würde diese Frau nach Hause rennen.“
„Nun, es sieht so aus, als würden wir es gleich herausfinden.“ Eileen deutete mit dem Kopf auf ihre Nichte Joanna, die durch die Tür kam und den Neuankömmling begrüßte. Alles, was Eileen brauchte, war Zeit, um eine Portion ihrer Kürbis-Brownies zuzubereiten, und fünf Minuten allein mit Finns Frau, und schon hätte sie die ganze Geschichte, einschließlich der Blutgruppe der Fremden. Ja. Neugier war nicht dieser Katze Tod.
„Nun, was haben wir denn hier.“ Dorothy blickte zum Seitenfenster. „Vielleicht solltest du dir das ansehen, Eileen.“
Weil sie wissen wollte, was Dorothy entdeckt hatte, wandte sie ihren Blick von den beiden Frauen ab, die noch immer an der Tür standen, und schaute aus dem Seitenfenster. Gray, der wunderschöne Wolfsmischling, der jetzt auf der Ranch lebte, saß den Kopf zur Seite geneigt am Rand des Parkplatzes und blinzelte sie an. „Was zum Teufel macht er den ganzen Weg hier draußen?“
„Vielleicht hat er sich auf der Ladefläche deines Trucks versteckt“, schlug Ruth Ann vor.
„Vielleicht.“ Ihr Gesicht verzog sich nachdenklich. „Aber das glaube ich nicht.“
„Du willst doch nicht sagen, dass Gray wieder zu seinen alten Tricks greift?“, entgegnete Sally May leise.
Alle vier Köpfe wandten sich der großen Blondine zu.
„Vielleicht.“ Eileen musterte den Neuankömmling aufmerksam. Aber für wen?
* * * *
Morgan Farraday beobachtete aufmerksam, wie Meg auf die zwei Holzbalken starrte, die bis gestern die Rückwand des kleinen Familienwohnzimmers gebildet hatten. Den heutigen Vormittag hatte er damit verbracht, die Rigipsplatten und den Putz von dem einzigen Hindernis zu reißen, das zwischen dem neuen Wintergarten und dem stand, was bald eine vergrößerte Wohnung für ihre und Adams wachsende Familie sein würde.
„Wow, einfach wow.“ Meg wirbelte herum und schlang ihre Arme um seinen Hals, küsste seine Wange und hüpfte praktisch von ihm weg, um erneut auf den größtenteils offenen Raum zu starren. „Das wird großartig.“
„Es ist deine Vision.“ Morgan lächelte die Frau seines Cousins an. Meg war eine kluge und kompetente Geschäftsfrau, die zufällig eine unglaublich nette Lady war – und das perfekte Gegenstück zu seinem Cousin Adam. Der entzückte Ausdruck und das Grinsen, das sich von einer Seite ihres Gesichts zur anderen erstreckte, waren die beste Bestätigung für einen gut ausgeführten Plan. Er liebte es, Menschen glücklich zu machen und die Renovierungsträume eines Hausbesitzers wahr werden zu lassen. Umso besser, wenn der Hausbesitzer zur Familie gehörte. „Jetzt hast du genügend Platz für alle Sachen von Fiona.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Wer hätte gedacht, dass ein so kleines Ding so viel … Zeug brauchen würde.“ Sie kicherte und blickte weiterhin auf den neuen offenen Raum, anstatt sich zu ihm zu drehen. „Wann werden die Träger entfernt?“
„Jetzt.“
„Wirklich?“ Aufgeregt drehte sie sich wieder um und lächelte noch strahlender als im Moment zuvor.
„Der neue Stützbalken steht bereits, also brauchen wir die nicht mehr. Willst du helfen?“
„Bist du sicher?“
Er unterdrückte ein Lachen, zog seinen Hammer aus der Metallgürtelschlaufe und streckte grinsend seinen Arm aus. Im Handumdrehen waren die Balken verschwunden und Meg stand stolz da und bewunderte den wirklich geräumigen Raum. Kaum war die Tat vollbracht, waren hinter ihnen schwere Schritte zu hören.
„Hat dir schonmal jemand gesagt, wie sexy du mit einem Schutzhelm aussiehst?“
„Nicht das ich wüsste.“ Morgan lachte seinen Cousin Adam an, der seine Frau anstarrte, als wären sie gerade erst frisch verheiratet. Was war es nur mit der jungen Liebe und dieser Seite der Familie? Bei diesen beiden sah es so einfach aus, verliebt zu sein. Er hatte vor langer Zeit gelernt, dass Ambitionen und Chaos irgendwann siegten und dass das Leben – sein Leben – allein viel einfacher war.
Meg verdrehte die Augen, nahm ihren Helm ab und reichte ihn Morgan. „Danke. Das hat Spaß gemacht.“
Spaß? Das musste eine Premiere sein. Er kannte nicht viele Frauen, die Spaß an Abrissarbeiten hatten. Wäre es ein anderer Ort und eine andere Zeit, hätte Morgan sich gefragt, ob Meg eine ledige Schwester hatte. Auch wenn das boomende Baugewerbe, das ihn durch seinen ganzen Staat zog und wie jetzt sogar nach West-Texas, Zeit für eine Frau in seinem Leben lassen würde, hatte er seine Lektion gelernt. Täusche mich einmal, Schande über dich. Täusche mich zweimal, Schande über mich. Solch besondere Frauen wie Meg liefen einem nicht täglich über den Weg. Nicht ohne Haken. Komplizierte Haken.
Adam näherte sich seiner Frau, legte seinen Arm um ihre Taille, zog sie an sich und küsste sie sanft auf die Lippen. „Im Ernst, du siehst großartig aus und das Zimmer auch.“
Megs Augen funkelten ihren Mann an.
Der einfache Austausch von Liebe und Zuneigung fühlte sich seltsam persönlich an. Morgan richtete seinen Blick auf die umgestürzten Pfosten und untersuchte sie kurz, bevor er es wagte, seine Aufmerksamkeit wieder seinem Cousin und der jetzt fehlenden Wand zuzuwenden.
Meg tätschelte den Arm ihres Mannes und drehte sich zu Morgan um. „Ich bin so froh, dass du deckenhohe Fenster anstelle von typischen Rahmenfenstern vorgeschlagen hast.“
Ihre überschäumende Begeisterung schob sein Unbehagen beiseite und erinnerte ihn noch einmal daran, warum er froh war, hier zu sein. „Als du erwähnt hast, wie wichtig Licht für dich ist, war das eine Selbstverständlichkeit.“
„Sieht gut aus.“ Sein Bruder Ryan kam aus dem Flur. „Bald musst du Fiona nicht mehr den ganzen Weg zu Onkel Sean und Tante Eileen schleppen, um dem Baulärm zu entgehen.“
Meg wand sich auf der Stelle. „Ich bin mir nicht sicher, ob das Tante Eileen gefallen wird, selbst wenn sie Fiona heute Becky für eine Weile überlassen musste, damit sie das Kartenspiel nicht verpasst.“
Ryan schüttelte den Kopf. „Tante Eileen spielt wirklich Poker in einem Café?“
„Gewissenhaft.“ Adam kicherte.
„Nun“, Ryan zuckte mit den Schultern, lächelte und schüttelte den Kopf, „nur noch ein paar Tage und wir gehen euch nicht mehr auf die Nerven.“
Die lockere Stimmung, die den Raum erfüllt hatte, wurde ernster. Seit Morgan letztes Weihnachten die Brandsanierung in Chloes Haus durchgeführt hatte, suchte er ständig nach einem guten Grund, mehr als ein Wochenende in Tuckers Bluff zu verbringen. Als Adam sich an ihn wandte und ihm erklärte, dass sie nicht aus dem Bed-and-Breakfast ausziehen wollten, obwohl sie etwas mehr Platz brauchten, nutzten Morgan und sein Bruder die Chance, sich auf der Ranch eine Zeit lang bei diesem Teil der Farradays einzuquartieren. Vielleicht hätten er und Ryan nicht so hart und schnell arbeiten sollen.
Meg verzog das Gesicht. „Ich möchte euch wissen lassen, dass wir euch beide sehr gerne um uns haben. Außerdem, ich bin mir nicht so sicher, ob es Tante Eileen gefallen wird, wenn sie nicht jeden Tag ihr Baby bekommt, aber sie hat erwähnt, dass sie das große Bad auf der Ranch erneuern möchte. Sie sagt, es sei Zeit für eine ebenerdige Dusche.“
„Tatsächlich“, Adam zeigte mit dem Finger auf ihn, „sind Brooks und Allison fast so weit, um mit der nächsten Phase des Krankenhauses zu beginnen.“
Ryan kicherte. „Ihr versucht doch nicht, uns in Texas festzuhalten, oder?“
„Natürlich nicht“, wiederholten Adam und Meg schnell.
Adam trat einen Schritt vor und nickte von einem Bruder zum anderen. „Es war wirklich schön, euch wieder hier zu haben.“ Zweifellos dachte Adam an all die verlorenen Jahre zwischen den beiden Farraday-Clans. Ähnliche Gedanken und Gefühle gingen auch ihm durch den Kopf, da er es so einfach fand, mit seinen Cousins genau dort weiterzumachen, wo sie als Teenager aufgehört hatten.
„Seht uns nicht so an.“ Ryan schüttelte den Kopf. „Es war wirklich toll, den Kontakt wieder aufzufrischen. Wir kommen wieder öfter vorbei, versprochen. Dennoch werde ich das nagende Gefühl nicht los, dass es weniger eine Frage von Angebot und Nachfrage ist, uns hierher zu holen, um zu helfen, als vielmehr Teil eines meisterhaften Plans von Tante Eileen, die einzigen verbliebenen Farraday-Junggesellen zu verheiraten.“
Adam hustete und Meg schlug ihm leicht gegen den Arm.
„Was?“ Adam zuckte mit den Schultern, als er seine Frau ansah. „Der Mann könnte recht haben.“
Lächelnd schüttelte Ryan heftiger den Kopf. „Ich bin froh, dass alle verheirateten Farradays so glücklich sind. Das bin ich wirklich, aber zufällig bin ich gerne Single. Ich kann gehen, wohin ich will, wann ich will. Was mich daran erinnert.“ Er wandte sich an Morgan. „Owen und Pax gehen dieses Wochenende mit ein paar Jungs auf die Jagd. Glaubst du, dass du den Rest hier ohne mich zu Ende bringen kannst?“
Mit verschränkten Armen nickte Morgan. Er war nicht so darauf bedacht wie Ryan, nach Hause zu eilen. Das Leben war gut zu ihm gewesen. Sehr gut. In den letzten Jahren hatte er nicht ein einziges Mal gedacht, dass in seinem Leben etwas fehlte. Bis er nach Tuckers Bluff zurückgekehrt war. Und auch wenn er sich nicht für die subversiven Partnervermittlungspläne interessierte, die seine Tante vielleicht im Sinn hatte, gefiel ihm die Idee, so lange wie möglich hier zu bleiben.
„Hallöle“, rief Becky.
Das alte Sprichwort über das laute Klappern kleiner Füße war absolut wahr. Morgan drehte sich um, als die weibliche Stimme von unten rief, und konnte auch schon die kleinen Schritte hören, die über die Holzböden tapsten und zweifellos auf dem Weg zur Treppe waren.
„Erwischt.“ D.J.s Stimme drang die Treppe hinauf, gefolgt vom Kichern ihrer Tochter Katie, offiziell Caitlin Helen Farraday.
Alle Erwachsenen im dritten Stock gingen nach unten. Meg war die erste Person, die das Erdgeschoss erreichte, und holte ihr kleines Mädchen aus den Armen ihrer Schwägerin. Fiona und Katie, die nur ein paar Monate auseinanderlagen, verstanden sich wie eineiige Zwillinge. Es war ein Riesenspaß, den beiden dabei zuzusehen, wie sie Seite an Seite die Welt um sie herum erkundeten. Mehr Spaß, als er noch vor ein paar Monaten gedacht hätte.
„Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, ein Gitter im ersten Stock anzubringen, auch wenn es für die Gäste etwas umständlich ist.“ Adam schüttelte den Kopf, als seine Nichte ihr Bestes tat, um sich aus den Armen ihres Vaters zu befreien.
„Tut es nicht wegen Katie. Wir sind nicht oft genug hier und bevor ihr euch verseht, rennt sie wie eine olympische Athletin ohne Aufsicht die Treppe hinauf.“ D.J. setzte sein Mädchen ab, den Arm bereit, bei Bedarf zuzuschnappen, um den geölten Blitz wieder einzufangen.
Morgan erwartete, dass sie wieder direkt auf die untere Stufe zusteuern würde, und war überrascht, als Katie stattdessen in seine Richtung stürzte und ihre Arme nach ihm warf.
„Na, hallo.“ Nach ein paar Wochen mit einem Haufen Kleinkindern hatte sich Morgan mit der Routine ziemlich vertraut gemacht. Zuerst spielte er Wessen Bauch ist das und kitzelte ihren Bauch, dann spielten sie Flugzeug, bei dem er sie über seinen Kopf hielt und sie hin und her bewegte, bis sie so laut kicherte, dass jeder im Raum mitlachen musste.
Während D.J.s kleine Caitlin die Abenteuerlustige war, war Adams Fiona die Kuschlerin. Sie war immer froh, ihren Kopf an die Schulter von jemandem zu legen und einfach nur die Menschen um sie herum zu beobachten und von ihnen zu lernen, besonders ihrer Cousine. Wie jetzt. Irgendwann gab sie ihrer Neugier nach und wandte sich an Onkel Morgan.
„Das machst du für einen Junggesellen wirklich gut.“ Beckys funkelnde Augen blieben auf ihre Tochter gerichtet, während Morgan sie hoch über seinem Kopf hielt.
„Ich lerne schnell.“ Er zog Katie an sich und rieb ihren Bauch mit seinem Kopf. Ihr Kichern brachte ihn und alle anderen Erwachsenen ebenfalls zum Lachen.
Seine Cousins hatten tatsächlich den Hauptpreis des Lebens gewonnen. Morgan war schon immer von seiner Familie umgeben gewesen. Er und seine Brüder standen sich sehr nahe. Damit war er zufrieden gewesen, aber jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass er etwas ganz Besonderes verpasste. Natürlich hatte er sich nach dem College genauso gefühlt, als er einen Ring für Carolyn gekauft hatte. Und alle wussten, wie gut das ausgegangen war.
* * * *
Der Hut war definitiv übertrieben. Andererseits war die heiße Sonne von Texas das ebenfalls. Als blondes Kind mit lilienweißer Haut, das an den Stränden Südkaliforniens aufwuchs, hatte Valerie Moore nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass die Sonne definitiv nicht auf ihrer Seite war. Übertreibung hin oder her, Hüte waren ihre Freunde.
„Valerie?“ Eine zierliche, dunkelhaarige Frau mit einem Lächeln, so strahlend wie die Sonne von Texas, blickte zu ihr auf.
„Joanna?“
Die Frau streckte ihre Hand aus. „Willkommen in Tuckers Bluff.“
„Danke.“ So weit, so gut. Joanna war persönlich genauso angenehm wie am Telefon.
Eine Kellnerin schlich sich mit einem ebenso strahlenden Grinsen an Joanna heran. Da sie aus Kalifornien kam, waren freundlich lächelnde Menschen nichts Ungewöhnliches, aber diese Leute sahen alle wie Grinsekatzen aus. Vielleicht lag es an der Hitze.
„Nun, das ist eine schöne Überraschung.“ Die Kellnerin umarmte sie kurz.
„Hey.“ Jo erwiderte die vertraute Umarmung, drehte sich um und winkte Val zu. „Valerie, das ist meine Cousine Abbie.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Abbie nickte.
„Ist mir ein Vergnügen“, antwortete sie und versuchte, ihrem eigenen Lächeln etwas Schwung zu verleihen.
„Da ich in der Stadt bin, dachte ich, ich könnte später mal vorbeischauen und Brendan besuchen – und natürlich auch Jamie.“
„Natürlich.“ Die Frau lachte. „Wenn du kommst, schau unbedingt nach, ob er zu Hause ist oder das Baby ins Pub mitgenommen hat, obwohl es für Jamie schwieriger ist, zu arbeiten, seit Brendan krabbelt.“
Baby? Ins Pub? Vals Blick wanderte von einer Frau zur anderen. Sicherlich musste es einen guten Grund für ein Baby in einem Pub geben. Auf die Schnelle fiel ihr nichts ein, aber sie kam zu dem Schluss, dass es ein verrückter Grund sein musste, und fragte sich dann, ob er sogar verrückt genug war, um das Ganze in eine Sitcom zu verwandeln. Sie schüttelte im Geiste den Kopf und holte tief Luft. Niemand mochte eine verzweifelte Produzentin. Schade, denn die möglichen Eskapaden drehten sich in ihrem Kopf bereits wie eine Filmrolle im Zeitraffer.
„Alles okay?“, fragte Joanna sie.
„Was? Ja. Warum?“
„Du schüttelst den Kopf.“
„Oh.“ Val lachte. Ihre Mimik und Gestik hatten ihre Gedanken schon ein paarmal zu oft verraten. „Tut mir leid, ich habe etwas gegrübelt.“
„Ah.“ Joanna ließ wieder dieses blendende Texas-Lächeln aufblitzen.
„Tisch oder Nische?“ Abbie schnappte sich eine einzelne Speisekarte.
„Nische. Hinten.“
„Gut.“ Joannas Cousine nickte, führte sie zu einer Ecknische mit etwas Abstand zum nächsten Tisch und reichte Val eine Speisekarte. „Es sollte noch etwa eine Stunde lang nicht überfüllt sein.“
„Danke.“
Kaum hatte sie ihr Getränk bestellt und erkannt, dass Joanna und fast alle anderen in der Stadt keine Speisekarte brauchten, klingelte ihr Telefon und Aufregung schoss durch ihren Körper. „Da muss ich rangehen. Entschuldigst du mich?“
„Natürlich.“
Auf der Suche nach Privatsphäre schlängelte sie sich durch die Tische in den hinteren Flur, kam an einer freistehenden Leiter vorbei und überlegte kurz, wer mitten in einem Flur eine Leiter zurückließ. Sie hielt ihr Telefon ans Ohr und überlegte, ob sie sich in die Damentoilette zurückziehen sollte. Doch bei ihrem Glück, war jede Kabine besetzt und es würde im ganzen Raum laut hallen, wenn alle Besucher gleichzeitig spülten. Sie drehte dem Essbereich den Rücken zu, steckte einen Finger in ihr anderes Ohr und vergrub ihr Gesicht in der dunklen Ecke. „Was haben sie gesagt?“
Marilyn, ihre beste Freundin seit dem ersten Jahr an der UCLA und Drehbuchautorin einer der heißesten Serienadaptionen im Kabelfernsehen, hatte ihre Verbindungen genutzt, um Vals letzte Idee anzupreisen. Sie hatte gehofft, dass ihre Bemühungen mit einem Insider an ihrer Seite vielleicht Früchte tragen würden. „Nein.“
Mist. Davor hatte sie Angst gehabt. Ihre Stirn schlug gegen die harte Wand. Drei Serien vorgeschlagen, drei Serien abgelehnt. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, sie war von ihrem letzten Projekt auch nicht besonders begeistert gewesen, aber der Ausstieg aus dem Reality-TV-Business war ihre beste Chance auf das Voranbringen ihrer Karriere. Schade, dass das sonst niemand so sah.
„Bist du noch da?“
„Ja.“
„Entschuldigung. Der Wechsel in dieser Branche ist nicht einfach.“
Gott, wenn sie das nicht wusste. Sie hatte gehofft, Joanna davon überzeugen zu können, ihr die Serienrechte an ihrem neuen Buch zu übertragen. Doch nach diesem erneuten Rückschlag stellte sich die Frage, ob es überhaupt eine Rolle spielte, wie gut die Geschichte war, die sie daraus machen könnte, wenn man sie lediglich als Reality-TV-Autorin wahrnahm.
„Sie wären interessiert, wenn du ein frisches Konzept für eine neue Hausrenovierungsshow entwickeln würdest.“
Und erneut, war nicht genau das das Problem? Auf wie viele Arten könnte ein Produzent alte Häuser noch renovieren?
„Die Umbaushow mit all diesen Retro-Stars war ein Hit. Vielleicht sollten wir so etwas versuchen?“
„Das wäre aber nichts Neues, oder?“
„Das ist Hollywood. Improvisiere.“
„Leichter gesagt als getan.“ Wenn sie nur bei ihrem schwindenden Kontostand improvisieren könnte. Sie hob den Kopf und atmete langsam aus. „Ich bin beim Mittagessen. Lass uns später reden.“
„Hört sich gut an. Ruf an, wenn du zurück in LA bist.“
„Wird erledigt.“ Sie kniff die Augen zusammen und sprach ein stilles Gebet. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Joanna Farradays Buch die Antwort auf all ihre Probleme enthielt.
Mit geöffneten Augen wirbelte sie herum, überrascht von dem blendenden Lichtstrahl, der aus einem entfernten Fenster fiel. Sie machte einen kurzen Schritt, blinzelte und machte noch einen, bevor ihr Zeh mit etwas Hartem in Berührung kam. Ihr Blick fiel auf den Boden und sie versuchte immer noch zu erkennen, was sich direkt vor ihr befand. Wer hatte die Leiter bewegt?
„Sorry.“ Die Stimme war tief und sehr männlich.
Ihr Blick hob sich. „Kein Problem …“ Die Worte versiegten in ihrem Mund. Auf der einstmals leeren Leiter, tauchten, direkt in ihrem Blickfeld, in Jeans gekleidete, perfekt gerundete stählerne Pobacken auf. Ein muskulöses Bein stieg eine Stufe hinab, was den Jeansstoff enger um diesen stählernen Po zog. Hätte sie auch nur einen Tropfen Speichel im Mund gehabt, hätte sie gesabbert.
„Entschuldigung“, brummte er.
Langsam fiel ihr Blick auf seine Lederstiefel, dann zurück auf das wohlgeformte Gesäß und hinauf zu einer Gürtelschnalle in der Größe des ganzen Staats Texas.
„Ich muss runter.“
Runter? Wieder einmal wanderte ihre Konzentration auf und ab, bevor ihr Gehirn schließlich begann, auf Hochtouren zu laufen, als ihr klar wurde, dass sie ihm im Weg stand. Sie trat einen Schritt zurück und ihr Mund verband sich mit ihrem Gehirn. „Es tut mir leid. Ich habe Sie nicht hereinkommen hören.“
„Sie waren am Telefon. Es schien wichtig, aber ich hatte nur ein paar Minuten und habe Abbie versprochen, einen Blick auf das Licht zu werfen.“
„Ja.“ Die einzelne Silbe war nicht ganz die passende Antwort, aber der fast hypnotische Klang seiner Stimme hatte sie erneut aus der Bahn geworfen. Zusammenhängende Sätze zu bilden, war einfach nicht möglich.
Als er schließlich auf dem Boden war, steckte er einen Schraubenzieher in eine Tasche, die an seiner Hüfte hing. So wie er die Hand an seine Stirn hob, glaubte sie fast, er wollte seinen nichtexistierenden Hut antippen. „Danke. Einen schönen Tag noch.“
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sie blickte in tiefblau funkelnde Augen und zum zweiten Mal in nur wenigen Augenblicken wurde ihr Mund ganz trocken. Irgendwie schaffte sie es Dir auch zu murmeln, während er die Leiter zusammenklappte, sie hochhob und sich umdrehte, um wegzugehen. Der Schraubenzieher, und wer weiß was sonst noch, klimperte bei jedem seiner Schritte. Kein Wunder, dass der Sender eine Renovierungsshow wollte. Diesem Mann könnte sie jeden Tag bei der Arbeit zusehen.